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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus
Autoren: Günter Grass
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unseren Fingernägeln kauten. Nur Mahlke besaß lange, wenn auch vom vielen Tauchen gelbliche Nägel und bewahrte sich ihre Länge, indem er weder kaute noch Möwenmist kratzte. Auch blieb er der einzige, der nie von dem weggestemmten Mist aß, während wir, weil sich das anbot, kalkige Klümpchen wie Muschelsplitt kauten und als schaumigen Schleim über Bord spuckten. Das Zeug schmeckte nach nichts oder nach Gips oder nach Fischmehl oder nach allem, was sich vorstellte: nach Glück, Mädchen, nach dem lieben Gott. Winter, der ganz gut singen konnte, gab an: »Wißt Ihr, daß Tenöre täglich Möwenmist essen?« Oft fingen die Möwen unsere kalkige Spucke im Flug und merkten wohl nichts.
    Als Joachim Mahlke kurz nach Kriegsbeginn vierzehn Jahre alt wurde, konnte er weder schwimmen noch radfahren, fiel überhaupt nicht auf und ließ jenen Adamsapfel vermissen, der später die Katze anlockte. Vom Turnen und Schwimmen war er suspendiert, weil er sich als kränklich ausweisen konnte, indem er Atteste vorzeigte. Noch bevor Mahlke das Radfahren lernte und steif verbissen, mit hochrot abstehenden Ohren und seitlich verbogenen, auf-und-unter-tauchenden Knien eine komische Figur abgab, meldete er sich während der Wintersaison im Hallenbad Niederstadt zum Schwimmen, wurde aber vorerst nur zum Trockenschwimmen mit Acht- bis Zehnjährigen zugelassen. Auch im folgenden Sommer war er noch nicht so weit. Der Bademeister der Anstalt Brösen, eine typische Bademeisterfigur mit Bojenleib und dünnen haarlosen Beinen unter dem stoffbespannten Seezeichen, mußte Mahlke zuerst im Sand drillen und dann an die Angel nehmen. Doch als wir ihm Nachmittag um Nachmittag davonschwammen und Wunderdinge von dem abgesoffenen Minensuchboot erzählten, bekam er mächtigen Auftrieb, schaffte es innerhalb von zwei Wochen – und schwamm sich frei. Ernst und beflissen zog er zwischen dem Seesteg, dem Großen Sprungturm und der Badeanstalt hin und her und mochte im Schwimmen schon einige Ausdauer haben, als er vom Wellenbrecher des Seesteges mit Tauchübungen begann, zuerst simple Ostseemuscheln hochholte, dann nach einer sandgefüllten Bierflasche tauchte, die er ziemlich weit rauswarf. Wahrscheinlich gelang es Mahlke bald, die Buddel regelmäßig vom Grund hochzuholen, denn als er bei uns auf dem Kahn zu tauchen anfing, war er kein Anfänger mehr. Er bettelte, mitschwimmen zu dürfen. Gerade wollten wir, sechs oder sieben Mann stark, unseren täglichen Kurs einschlagen, feuchteten uns umständlich vorsorglich im seichten Quadrat des Familienbades an, da stand Mahlke auf dem Laufsteg des Herrenbades: »Nehmt mich doch mit. Ich schaff es bestimmt.«
    Ein Schraubenzieher hing ihm unter der Gurgel und lenkte von seiner Gurgel ab.
»Na schön!« Mahlke kam mit, überholte uns zwischen der ersten und der zweiten Sandbank, und wir gaben uns keine Mühe, ihn einzuholen: »Der soll sich mal abstrampeln.«
Wenn Mahlke in Brustlage schwamm, tanzte ihm der Schraubenzieher deutlich, denn das Ding hatte einen Holzgriff, zwischen den Schulterblättern. Schwamm Mahlke auf dem Rücken, torkelte der Holzgriff auf seiner Brust, verdeckte aber nie vollkommen jenen fatalen Knorpel zwischen Kinnlade und Schlüsselbein, der als Rückenflosse ausgefahren blieb und ein Kielspur riß. Und dann zeigte Mahlke es uns. Er tauchte mehrmals kurz nacheinander mit seinem Schraubenzieher und brachte hoch, was sich nach zwei- oder dreimaligem Tauchen abschrauben ließ: Deckel, Verschalungsteile, ein Stück von der Lichtmaschine, fand unten ein Seil, seilte mit dem brüchigen Drussel einen waschechten Minimax aus dem Vorschiff hoch; und das Ding – deutsches Fabrikat übrigens – war noch brauchbar; Mahlke bewies es uns, löschte mit Schaum, zeigte uns, wie man mit Schaum löscht, löschte mit Schaum die glasgrüne See – und stand vom ersten Tag an ganz groß da. Die Flocken lagen noch in Inseln und verzogenen Streifen auf flacher gleichatmiger Dünung, lockten wenige Möwen, stießen die Möwen ab, fielen zusammen und trieben, eine einzige Sauerei sauer gewordener Schlagsahne, gegen den Strand; da machte auch Mahlke Feierabend, hockte sich in den Schatten des Kompaßhäuschens und bekam nun, nein, hatte schon lange, noch bevor verirrte Schaumfetzen auf der Brücke ermüdeten und unter jedem Lüftchen zitterten, diese körnige schrumpfende Haut.
Mahlke bibberte, ließ die Gurgel fliegen; und sein Schraubenzieher machte über geschüttelten Schlüsselbeinen Tänzchen. Aber auch
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