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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus
Autoren: Günter Grass
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Mahlkes Rücken, eine streckenweis käsige, von den Schultern abwärts krebsrot verbrannte Fläche, der sich immer wieder beiderseits der reibbrettartig durchtretenden Wirbelsäule neuverbrannt die Haut schälte, wurde mit Graupeln beworfen und von wandernden Schauern verzogen. Gelbliche Lippen hatten blaue Ränder und entblößten Mahlkes klappernde Zähne. Mit großen ausgelaugten Händen versuchte er, beide Knie, die sich an den muschelüberzogenen Schotts aufgescheuert hatten, festzuhalten und so seinem Körper, auch seinen Zähnen Widerstand zu bieten.
Hotten Sonntag – oder war ich es? – rieb Mahlke ab: »Mensch, hol Dir bloß nischt. Wir müssen ja noch zurück.« Der Schraubenzieher wurde vernünftiger.
    Hin brauchten wir, von der Mole aus fünfundzwanzig, von der Badeanstalt aus fünfunddreißig Minuten. Eine gute Dreiviertelstunde verlangte der Rückweg. Er mochte noch so ausgepumpt sein, immer war er eine deutliche Minute vor uns auf dem Molengranit. Den Vorsprung des ersten Tages hielt er auch weiterhin. Jedesmal, bevor wir den Kahn – so hieß bei uns der Minensucher – erreichten, war Mahlke schon einmal unten gewesen und zeigte uns, sobald wir mit Waschfrauenhänden ziemlich gleichmäßig nach dem Rost und Möwenmist der Brücke oder den ausladenden Drehkränzen langten, irgendein Scharnier, etwas, das sich leicht hatte lösen lassen, wortlos vor und fröstelte schon, obgleich er sich vom zweiten oder dritten Herausschwimmen an dick und verschwenderisch mit Nivea eincremte; denn Taschengeld hatte Mahlke genug.
Mahlke war einziges Kind zu Hause.
Mahlke war Halbwaise.
Mahlkes Vater lebte nicht mehr.
    Mahlke trug im Winter wie im Sommer altmodische hohe Schuhe, die er von seinem Vater geerbt haben mochte.
An einem Schnürsenkel für hohe schwarze Schuhe trug Mahlke den Schraubenzieher am Hals.
Jetzt erst fällt mir ein, daß Mahlke außer dem Schraubenzieher noch etwas und aus Gründen am Hals trug; aber der Schraubenzieher war auffälliger.
Wahrscheinlich immer schon, doch wir hatten nie darauf geachtet, sicher vom Tage an, da Mahlke in der Badeanstalt das Trockenschwimmen erlernte und im Seesand Figuren strampeln mußte, trug er am Hals ein silbernes Kettchen, dem etwas silbern Katholisches anhing: die Jungfrau.
Nie, auch während der Turnstunde nicht, nahm sich Mahlke den Anhänger vom Hals; denn kaum hatte er in der winterlichen Schwimmhalle Niederstadt mit dem Trockenschwimmen und Schwimmen an der Angel begonnen, trat er auch in unserer Turnhalle auf und zeigte nie mehr ein Attest irgendeines Familienarztes vor. Entweder verschwand der Anhänger im Ausschnitt des Turnhemdes oder die silberne Jungfrau lag knapp überm roten Bruststreifen auf weißem Turnhemdstoff.
Mahlke schwitzte auch am Barren nicht. Selbst Übungen am Langpferd, bei denen nur noch die drei oder vier Besten der ersten Riege mitmachten, ließ er nicht aus, sondern segelte krumm und grobknochig vom Federsprungbrett übers lange Leder, landete mit Kettchen und verrutschter Jungfrau schief auf der Matte und ließ Staub aufwölken. Wenn er am Reck Kniewellen machte – später gelang es ihm, in mieser Haltung zwei Kniewellen mehr zu drehen als Hotten Sonntag, unser bester Turner, schaffte – wenn Mahlke also seine siebenunddreißig Kniewellen würgte, zog es ihm den Anhänger aus dem Turnhemd und das Silberding wurde siebenunddreißigmal, immer seinen mittelbraunen Haaren voraus, um die knirschende Reckstange geschleudert, ohne vom Hals loskommen und Freiheit gewinnen zu können, denn Mahlke hatte außer der bremsenden Gurgel jenen ausladenden Hinterkopf, der mit Haaransatz und deutlichem Knick dem rutschenden, durch Kniewellen entfesselten Kettchen Halt bot. Der Schraubenzieher lag über dem Anhänger, und der Schnürsenkel deckte streckenweise das Kettchen. Dennoch verdrängte das Werkzeug den Anhänger nicht, zumal das Ding mit dem Holzgriff nicht in die Turnhalle hineindurfte. Unser Turnlehrer, ein gewisser Studienrat Mallenbrandt, der in Turnerkreisen berühmt war, weil er ein richtungweisendes Regelbuch für das Schlagballspiel geschrieben hatte, verbot Mahlke, den Schraubenzieher am Schnürsenkel während der Turnstunde zu tragen. Das Amulett an Mahlkes Hals beanstandete Mallenbrandt nie, weil er außer Leibeserziehung und Geographie auch Religion unterrichtete und bis ins zweite Kriegsjahr hinein die Reste eines katholischen ArbeiterTurnvereins unters Reck und an den Barren zu führen verstand. So mußte der Schraubenzieher
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