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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus
Autoren: Günter Grass
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Kleinarbeit aus dem Kahn hochgeholt hatte. Schallplatten fand er unten keine. Die hatten sich wohl aufgelöst. Den ziemlich modernen Kasten mit Kurbel und Arm für die Nadel stöberte er in jener Offiziersmesse auf, die ihm schon das Silberding und noch einige andere Stücke beschert hatte. Die Kabine lag mittschiffs, also für uns, auch für Hotten Sonntag, unerreichbar. Denn wir stiegen nur ins Vorschiff ein und wagten uns nicht durch das dunkle, kaum von Fischen durchzitterte Schott zum Maschinenraum und den engen anstoßenden Kabinen.
    Kurz bevor die ersten Sommerferien auf dem Kahn zu Ende gingen, brachte Mahlke das Grammophon - wie der Feuerlöscher ein deutsches Fabrikat – nach vielleicht zwölfmaligem Tauchen, wobei er den Kasten Meter für Meter in Richtung Vorschiff bis unter die Luke zum Deck bewegte, schließlich mit Hilfe desselben Seiles, mit dem er schon den Minimax hochgeseilt hatte, an die Luft und zu uns auf die Brücke.
    Aus angeschwemmtem Holz und Kork mußten wir ein Floß basteln, um die Kiste, der die Kurbel eingerostet war, an Land bringen zu können. Wir schleppten abwechselnd. Mahlke schleppte nicht. Eine Woche später stand das Grammophon repariert, geölt, an den Metallteilen bronziert in seiner Bude. Neuer Filz bespannte den Plattenteller. Er ließ den Apparat, nachdem er ihn vor mir aufgezogen hatte, mit leerem sattgrünem Plattenteller ablaufen. Mahlke stand hinter verschränkten Armen neben der Schnee-Eule auf Birkengeäst. Seine Maus ruhte. Ich stand mit dem Rücken zum Sixtinischen Öldruck, schaute entweder auf den ledigen, leicht schwingenden Plattenteller oder aus dem Mansardenfenster über neurote Ziegeldächer in Richtung Christus-Kirche, mit Zifferblatt auf der Vorderseite, mit Zifferblatt auf der Ostseite des Zwiebelturmes. Bevor es sechs läutete, schnurrte das Grammophon aus dem Minensuchboot leiernd ab. Mahlke zog den Kasten mehrmals auf und verlangte von mir ungeminderte Anteilnahme an seinem neuen Ritus: viele verschiedene und abgestufte Geräusche, der zelebrierte Leerlauf. Damals hatte Mahlke noch keine Schallplatten.
    Bücher gab es auf langem durchgebogenem Bord. Er las ja viel, auch Religiöses. Neben den Kakteen auf dem Fensterbrett, dem Modell eines Torpedobootes der Wolf-Klasse und dem Modell des Aviso »Grille«, muß noch ein Wasserglas erwähnt werden, das auf der Kommode neben der Waschschüssel stand, immer trüb war und eine daumendicke Schicht Zuckersatz bewahrte. In jenem Glas rührte Mahlke morgens Wasser, das seinem von Natur dünnen und haltlosen Haar Festigkeit geben sollte, mit Sorgfalt und Zucker zu einer milchigen Tinktur, ohne den Bodensatz des Vortages zu beseitigen. Mir bot er einmal das Mittel an, und ich kämmte mir Zuckerwasser ins Haar. Wirklich blieb die Frisur nach der Behandlung mit fixierender Lösung straff gläsern und hielt bis zum Abend: meine Kopfhaut juckte, die Hände klebten, gleich Mahlkes Händen, vom prüfenden Drüberfahren – aber vielleicht bilde ich mir meine klebenden Hände nachträglich ein, und sie klebten gar nicht. Unter ihm, in drei Zimmern, von denen aber nur zwei benutzt wurden, wohnten seine Mutter und deren ältere Schwester. Beide still, wenn er da war, immer verängstigt und stolz auf den Jungen, denn Mahlke galt, den Zeugnissen nach, als guter Schüler, wenn auch nicht als Primus. Er war, was seine Schulleistungen leicht abwertete, ein Jahr älter als wir, weil Mutter und Tante den als Kind schwächlichen, sie sagten, kränklichen Jungen, ein Jahr später auf die Volksschule geschickt hatten.
    Aber kein Streber, büffelte mäßig, ließ jeden abschreiben, petzte nie, entwickelte, außer während der Turnstunde, keinen besonderen Ehrgeiz, hatte auffallende Abscheu vor den üblichen Sauereien der Tertianer und griff ein, als Hotten Sonntag einen Überzieher, den er zwischen Bänken im Steffenspark gefunden hatte, an einem Ast aufgespießt in die Klasse brachte und über die Türklinke der Klassentür stülpte. Studienrat Treuge, einem halbblinden Pauker, der eigentlich hätte pensioniert sein müssen, sollte eins ausgewischt werden. Jemand rief schon auf dem Korridor: »Er kommt!« da drückte sich Mahlke aus seiner Bank, machte unbeeilte Schritte und entfernte das Präservativ mit einem Butterbrotpapier von der Klinke. Niemand widersprach. Er hatte es uns wieder einmal gezeigt; und jetzt kann ich sagen: Indem er kein Streber war, nur mäßig büffelte, alle abschreiben ließ, keinen Ehrgeiz, außer während
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