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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus
Autoren: Günter Grass
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Schraubenzieher vage nachzeichnenden Flecke vom Schmierfett im Hemdenstoff. Er kniete, vom Altar aus gesehen, in der zweiten Bank der linken Bankreihe und zielte sein Gebet mit offenen, glaube, hellgrauen, zumeist vom Tauchen und Schwimmen entzündeten Augen in Richtung Jungfrau, Marienaltar.
    . . . und einmal – ich weiß nicht mehr, in welchem Sommer - war es während der ersten Großen Ferien auf dem Kahn, kurz nach dem Rummel in Frankreich, war es immer Sommer danach? – an einem Tag, heiß und dunstig, mit Gewühle im Familienbad, schlaffen Wimpeln, quellendem Fleisch, starkem Umsatz der Erfrischungsbuden, auf sengenden Fußsohlen über Kokosläufern, vor geschlossenen Badezellen voller Gekicher, zwischen entfesselten Kindern: was sich wälzte, kleckerte, den Fuß aufschnitt; und mittenmang der heute dreiundzwanzigjährigen Aufzucht, unterhalb fürsorglich gebeugter Erwachsener, schlug ein etwa dreijähriger Balg monoton hölzern auf eine Kinderblechtrommel und ließ den Nachmittag zu einer höllischen Schmiede werden – da lösten wir uns, schwammen zu unserem Kahn, waren vom Strand aus, für den Feldstecher des Bademeisters etwa, sechs kleiner werdende Köpfe unterwegs; und einer voraus und als erster am Ziel.
    Wir warfen uns auf den windgekühlten, dennoch glühenden Rost und Möwenmist, waren nicht mehr zu bewegen, während Mahlke schon zweimal unten gewesen war. Mit beladener linker Hand kam er hoch, hatte im Vorschiff und Mannschaftslogis, in und unter den halbverfaulten, entweder schlaff wedelnden oder immer noch festgezurrten Hängematten, in Schwärmen schillernder Stichlinge, zwischen Tangwäldern und stiebenden Neunaugen gewühlt, geschabt und in durchwachsenem Plunder, einst Seesack des Matrosen Witold Duszynski oder Liszinski, eine handgroße Bronzeplakette gefunden, die auf der einen Seite, unter kleinem erhabenem polnischen Adler, den Namen des Plakettenbesitzers, sowie das Datum der Verleihung, auf der anderen Seite das Relief eines schnauzbärtigen Generals zeigte: nach einigem Reiben mit Sand und pulvrigem Möwenmist sagte die rundumlaufende Plaketteninschrift aus, daß Mahlke das Porträt des Marschall Pilsudski an die Luft gebracht hatte. Vierzehn Tage lang war Mahlke nur noch auf Plaketten aus, fand auch ein zinntellerartiges Erinnerungsstück an eine Segelregatta des Jahres vierunddreißig auf der Reede von Gdingen – und mitschiffs, noch vor dem Maschinenraum, in der engen und schwer zugänglichen Offiziersmesse, jene markstückgroße Medaille aus Silber, mit Silberöse zum Aufhängen, deren Hinterseite namenlos platt und abgewetzt, deren Vorderseite reich profiliert und geschmückt war: das stark erhabene Relief der Jungfrau mit Kind. Es handelte sich, wie die gleichfalls erhabene Inschrift bewies, um die berühmte Matka Boska Czestochowska; und Mahlke putzte das Silber nicht, ließ dem Ding die schwärzliche Patina, als er auf der Brücke entdeckte, was er hochgebracht hatte und wir ihm Treibsand zum Putzen anboten.
    Aber während wir noch stritten und das Silber glänzen sehen wollten, kniete er schon im Schatten des Kompaßhäuschens und schob den Fund solange vor seinen Knubbelknien hin und her, bis er im geeigneten Winkel für seine zur Andacht gesenkten Augen lag. Wir lachten, als er bibbernd und bläulich mit ausgelaugten Fingerspitzen das Kreuz schlug, die fliegenden Lippen einem Gebet gemäß zu bewegen versuchte und etwas Latein hinterm Kompaßhäuschen hervorklapperte. Ich glaube noch heute, es war damals schon etwas aus seiner Lieblingssequenz, die sonst nur am Freitag vor Palmsonntag laut wurde: »Virgo virginum praeclara, – Mihi iam non sis amara . . .«
    Später, nachdem unser Direktor, Oberstudienrat Klohse, Mahlke verboten hatte, den polnischen Artikel offen und während des Unterrichts am Hals zu tragen - Klohse war Amtsleiter, unterrichtete aber nur selten in Parteikluft – begnügte Joachim Mahlke sich mit dem altgewohnten kleinen Amulett und dem stählernen Schraubenzieher unter jenem Adamsapfel, der einer Katze als Maus gegolten hatte. Er hängte die schwärzliche Silberjungfrau zwischen Pilsudskis Bronzeprofil und das postkartengroße Foto des Kommodore Bonte, des Helden von Narvik.

II
    Die Anbeterei, war das Spaß? Euer Haus stand in der Westerzeile. Dein Humor, wenn Du welchen hattest, war sonderbar. Nein, Euer Haus stand in der Osterzeile. Sahen ja alle gleich aus, die Straßen der Siedlung. Dennoch mußtest Du nur ein Butterbrot essen, und wir lachten
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