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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus
Autoren: Günter Grass
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im Umkleideraum am Haken überm Hemd warten, während die silberne, leicht abgegriffene Jungfrau an Mahlkes Hals halsbrecherischen Übungen Beistand gewähren durfte. Ein gewöhnlicher Schraubenzieher: stabil und billig. Oft mußte Mahlke, um ein schmales Schildchen, nicht größer als ein Namensschild seitlich einer Wohnungstür, das von zwei Schrauben gehalten wurde, lösen und hochbringen zu können, fünf- bis sechsmal tauchen, besonders, wenn das Schildchen an Metallteilen haftete und beide Schrauben eingerostet waren. Dafür gelang es ihm manchmal, größere Schilder mit viel Text schon nach zweimaligem Tauchen und indem er den Schraubenzieher als Brecheisen benutzte, samt Schrauben aus morscher Holzverschalung zu stemmen und die Beute auf der Brücke vorzuzeigen. Gesammelt hat er die Schildchen nachlässig, hat Winter und Jürgen Kupka, die hemmungslos alles Abschraubbare, auch Straßenschilder und die Schildchen der öffentlichen Toiletten sammelten, viel geschenkt und nur jene Brocken nach Hause genommen, die zu seinem Kram paßten.
Mahlke machte es sich nicht leicht; wenn wir auf dem Kahn dösten, arbeitete er unter Wasser. Wir kratzten am Möwenmist, wurden zigarrenbraun, und wer blonde Haare hatte, bekam strohblondes Haar; doch Mahlke holte sich allenfalls einen neuen Sonnenbrand. Wenn wir den Schiffsverkehr nördlich der Ansteuerungstonne verfolgten, hatte er unverrückbar den Blick nach unten: gerötete, bißchen entzündete Lider mit wenig Wimpern um, glaube, hellblaue Augen, die erst unter Wasser neugierig wurden. Mehrmals kam Mahlke ohne Schildchen, ohne Beute, aber mit abgebrochenem oder hoffnungslos verbogenem Schraubenzieher zurück. Auch den zeigte er und machte Eindruck. Jene Geste, mit der er das Ding über die Schulter in die See warf und sogleich Möwen irritierte, wurde weder von flauer Enttäuschung noch von zielloser Wut gesteuert. Nie warf Mahlke kaputtes Werkzeug mit gespielter oder tatsächlicher Gleichgültigkeit hinter sich. Auch das Wegwerfen besagte noch: Jetzt zeige ich es Euch bald von der anderen Seite!
    . . . und einmal – ein doppelschornsteiniges Lazarettschiff war eingelaufen, und wir hatten nach kurzem Hin und Her die »Kaiser« vom Seedienst Ostpreußen ausgemacht, ging Joachim Mahlke ohne Schraubenzieher hinunter in den Bugraum, verschwand in der aufgebrochenen, schiefergrün trüben, knapp überspülten Luke des Vorschiffes, klammerte mit zwei Fingern die Nase, -war mit dem Kopf und platt anliegenden, vom Schwimmen und Tauchen in der Mitte gescheitelten Haaren zuerst weg, zog Rücken und Gesäß nach, stieß links einmal leer die Luft und drückte sich dann mit beiden Sohlen vom Lukenrand schräg nach unten ab, in das schummrig kühle Aquarium, das durch offene Bullaugen Flutlicht bekam: nervöse Stichlinge, ein stehender Schwärm Neunaugen, schlingernde, noch festgezurrte Hängematten des Mannschaftslogis, verfilzt und von Tangbärten umwallt, in denen Strömlinge ihre Kinderstube hatten. Ganz selten ein abgekommener Dorsch. Von Aalen nur Gerüchte. Nie Flundern.
    Wir hielten unsere leicht zitternden Knie, mahlten Möwenmist zu Qualster, waren mäßig gespannt, halb ermüdet halb gefesselt, zählten Marinekutter, die im Verband fuhren, hielten uns an den immer noch senkrecht Rauch zeichnenden Schornsteinen des Lazarettschiffes fest, schauten uns seitlich an – er blieb lange unten – Möwen kreiselten, Dünung über dem Vorschiff gurgelte, brach sich an den Halterungen des abmontierten Buggeschützes, Klatschen hinter der Brücke, wo zwischen Entlüftern das Wasser rückläufig wurde und immer dieselben Nieten leckte, Kalk unterm Fingernagel, Jucken der trocknen Haut, Flimmern, Motortuckern mit dem Wind, Druckstellen, das Geschlecht halbsteif, siebzehn Pappeln zwischen Brösen und Glettkau – da kam er hochgeschossen: blaurot ums Kinn und gelblich über den Backenknochen, riß Wasser aus der Luke, streng in der Mitte gescheitelt, taumelte kniehoch umspült übers Vorschiff, griff nach den ragenden Halterungen, ging auf die Knie, glotzte wäßrig, und wir mußten ihn auf die Brücke ziehen. Aber während es ihm noch aus der Nase und den Mundwinkeln lief, zeigte er uns schon das Ding, einen stählernen Schraubenzieher aus einem Stück. War englisches Werkzeug. Stand eingestanzt drauf: Sheffield. Kein bißchen Rost, ohne Narben, noch mit der Fettschicht gefirmt: Wasser kugelte sich und rollte ab.
    Diesen schweren, sagen wir, unzerbrechlichen Schraubenzieher trug Joachim
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