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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus
Autoren: Günter Grass
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Mahlke über ein Jahr lang, auch als wir nicht mehr oder seltener zu dem Kahn hinschwammen, tagtäglich am Schnürsenkel um den Hals und trieb damit, obgleich oder weil er katholisch war, eine Art Kult, gab das Ding, zum Beispiel, vor der Turnstunde Studienrat Mallenbrandt, da er Diebe fürchtete, in Verwahrung und nahm den Brocken auch in die Marienkapelle mit; denn nicht nur am Sonntag, auch während der Woche ging Mahlke, noch vor Schulbeginn, zur Frühmesse in die Kapelle auf dem Marineweg, unterhalb der Genossenschaftssiedlung Neuschottland.
    Er und sein englischer Schraubenzieher hatten es nicht weit zur Marienkapelle: raus aus der Osterzelle, den Bärenweg hinunter. Viel Zweistöckiges, auch Villen mit Doppeldächern, Säulenportalen und Spalierobst. Dann zwei Reihen Siedlung, unverputzt oder verputzt mit Wasserflecken. Rechts bog die Straßenbahn ab und mit ihr die Oberleitung vor zumeist halbbedecktem Himmel. Links sandig magere Schrebergärten der Eisenbahner: Lauben und Kanichenställe aus dem schwarzroten Holz ausrangierter Güterwagen. Dahinter Signale der Gleise zum Freihafen hin. Silos, bewegliche oder starre Kräne. Fremd und farbstark die Aufbauten der Frachter. Immer noch die beiden grauen, altmodisch getürmten Linienschiffe, das Schwimmdock, die Brotfabrik Germania; und silbrig satt, auf halber Höhe, einige sanft schlingernde Fesselballone. Rechter Hand aber, halbvorgelagert der ehemaligen HeleneLange-Schule, dann Gudrun-Schule, die den eisernen Wirrwarr Schichauwerft, bis auf den großen Hammerkran, verdeckte, gutgepflegte Sportplätze, neugestrichene Tore, auf kurzem Rasen weißgestreute Markierungen der Strafräume: sonntags Blaugelb gegen Schellmühl 98 – keine Tribüne aber eine moderne hochfenstrige und hellocker gestrichene Turnhalle, der jedoch, fremd genug, auf neurotem Dach ein geteertes Kreuz ritt; dann die Marienkapelle, eine ehemalige Turnhalle des Sportvereins Neuschottland, hatte man als Notkirche einrichten müssen, weil die Herz-Jesu-Kirche zu weit ab lag und die Leute in Neuschottland, auf Schellmühl und in der Siedlung zwischen Osterzeile und Westerzeile, zumeist Werftarbeiter, Angestellte der Post und Eisenbahner, jahrelang Eingaben nach Oliva, wo der Bischof saß, geschickt hatten, bis man, noch während der Freistaatzeit, die Turnhalle kaufte, sie umbauen und einsegnen ließ.
    Da sich der Turnhallencharakter der Marienkapelle trotz farbenreicher gewundener Bilder und Dekorstücke, die aus den Kellern und Abstellräumen fast aller Pfarrkirchen des Bistums, auch aus Privatbesitz stammten, nicht leugnen und verstellen ließ – selbst Weihrauch und Wachskerzenduft übertönte nicht immer und nie genug den Kreide-Leder-Turnermief vergangener Jahre und Hallenhandballmeisterschaften –, haftete der Kapelle untilgbar etwas evangelisch Karges, die fanatische Nüchternheit eines Betsaales an. In der neugotischen, Ende des neunzehnten Jahrhunderts aus Backsteinen getürmten Herz-Jesu-Kirche, die abseits der Siedlungen, nahe dem Vorortbahnhof lag, hätte sich Joachim Mahlkes stählerner Schraubenzieher fremd und lästerlich häßlich ausgenommen. In der Marienkapelle hätte er das englische Qualitätswerkzeug getrost offen tragen können: das Kapellchen mit gepflegtem Linoleumfußboden, mit quadratischen, dicht unter der Decke ansetzenden Milchglasscheiben, mit sauber ausgerichteten eisernen Halterungen im Fußboden, die einst dem Reck Halt und Sicherheit gegeben hatten, mit den eisernen, wenn auch weißgetünchten Querträgern unter der grobkörnigen, von Verschalungsbrettern gerillten Betondecke, an denen vormals die Ringe, das Trapez und das halbe Dutzend Kletterseile ihre Verankerung gehabt hatten, war, obgleich in allen Ecken bemalter vergoldeter und plastisch segnender Gips stand, dennoch ein solch modern kühl sachliches Kapellchen, daß der freihängende stählerne Schraubenzieher, den ein betender, dann kommunizierender Gymnasiast vor der Brust baumeln zu lassen für notwendig hielt, weder den wenigen Frühmessebesuchern noch Hochwürden Gusewski und seinem verschlafenen Ministranten – das war oft genug ich – peinlich aufgefallen wäre.
    Falsch! Mit wäre das Ding bestimmt nicht entgangen. Wenn immer ich vorm Altar diente, sogar während der Stufengebete, versuchte ich, Dich aus verschiedenen Gründen im Auge zu behalten: aber Du wolltest es wohl nicht darauf ankommen lassen, behieltest das Ding am Schnürsenkel unterm Hemd und hattest deswegen die auffallenden und den
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