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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus
Autoren: Günter Grass
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weißer Fuß stieß ins Leere. Das Wasser über der Luke fand ins gewohnte kurzwellige Spiel.
Da nahm ich den Fuß vom Büchsenöffner. Ich und der Büchsenöffner blieben zurück. Wäre ich gleich ins Boot, Leine ab und weg: »Na, der wird es auch ohne schaffen,« aber ich blieb, zählte Sekunden, überließ dem Bagger, voraus der Ansteuerungstonne, mit wandernden, auf Raupen laufenden Greifern das Vorzählen, zählte angestrengt mit: zweiunddreißig dreiunddreißig rostige Sekunden. Sechsunddreißig siebenunddreißig schlammhievende Sekunden. Einundvierzig zweiundvierzig schlechtgeölte Sekunden, sechsundvierzig siebenundvierzig achtundvierzig Sekunden lang tat der Bagger mit steigenden, kippenden, zu Wasser gehenden Greifern, was er konnte: er vertiefte die Fahrrinne zur Hafeneinfahrt Neufahrwasser und half mir, die Zeit zu messen: Mahlke mußte am Ziel sein und mit Konservendosen, ohne Büchsenöffner, mit oder ohne jenen Bonbon, dessen Süße Bitternis zum Zwilling hatte, die ehemalige, über dem Wasserspiegel liegende Funkerkabine des polnischen Minensuchbootes »Rybitwa« bezogen haben.
Wenn wir auch keine Klopfsignale abgemacht hatten, hättest Du dennoch klopfen können. Noch einmal und noch einmal ließ ich den Bagger für mich dreißig Sekunden abzählen. Wie sagt man. Nach menschlichem Ermessen mußte er ... Die Möwen irritierten. Schnittmuster entwarfen sie zwischen Kahn und Himmel. Als aber die Möwen ohne lesbaren Grund plötzlich abdrehten, irritierten mich fehlende Möwen. Und ich begann zuerst mit meinen Absätzen, dann mit Mahlkes Knobelbechern das Brückendeck zu bearbeiten. Rost sprang in Placken ab, kalkiger Möwenmist krümelte und tanzte bei jedem Schlag mit. Pilenz, mit dem Büchsenöffner in hämmernder Faust, rief: »Komm wieder rauf, Mensch! Du hast den Büchsenöffner oben gelassen, den Büchsenöffner. . .« Pausen nach wilden, dann rhythmisch geordneten Schlägen und Schreien. Konnte leider nicht morsen, hämmerte, zweidrei zweidrei. Machte mich heiser: »Buch – sen – Öffner! Buch – sen – Öffner!«
Seit jenem Freitag weiß ich, was Stille ist, Stille tritt ein, wenn die Möwen abdrehen. Nichts vermag mehr Stille zu bewirken, als ein arbeitender Bagger, dem der Wind die eisernen Geräusche wegstemmt. Aber die größte Stille bewirkte Joachim Mahlke, indem er auf meinen Lärm keine Antwort wußte.
    Also, ich ruderte zurück. Aber bevor ich zurückruderte, warf ich den Büchsenöffner in Richtung Bagger, traf ihn aber nicht. Also, ich warf den Büchsenöffner weg, ruderte zurück, gab das Boot beim Fischer Kreft ab, mußte dreißig Pfennige nachbezahlen und sagte: »Vielleicht komme ich gegen Abend nochmal vorbei und hol mir das Boot nochmal.«
    Also, ich warf weg, ruderte zurück, gab ab, zahlte nach, wollte nochmal, setzte mich in die Straßenbahn und fuhr, wie man zu sagen pflegt, nach Hause.
    Also, nach alledem ging ich nicht gleich nach Hause, sondern klingelte in der Osterzeile, stellte keine Fragen, ließ mir aber die Lokomotive im Rahmen geben, denn ich hatte ja zu ihm und zu dem Fischer Kreft gesagt: »Vielleicht komme ich nochmal gegen Abend . . .«
    Also, meine Mutter hatte gerade das Mittagessen fertig, als ich zu Hause mit dem Querformatbild ankam. Ein leitender Herr vom Werkschutz der Waggonfabrik aß mit uns. Es gab keinen Fisch; und für mich lag neben dem Teller ein Brief vom Wehrbezirkskommando. Also, ich las und las und las meinen Einberufungsbefehl. Meine Mutter begann zu weinen und brachte den Herrn vom Werkschutz in Verlegenheit. »Fahr ja erst Sonntagabend« sagte ich und dann, ohne Rücksicht auf den Herrn: »Weißt Du, wo Papas Feldstecher geblieben ist?«
    Mit diesem Feldstecher also, und mit dem Bild im Querformat, fuhr ich am Sonnabendvormittag und nicht wie verabredet, am selben Abend – die Sicht wäre dunstig gewesen, auch regnete es wieder – nach Brösen, suchte mir den höchsten Punkt auf den Strandwalddünen: den Platz vor dem Kriegerdenkmal. Ich stellte mich auf die höchste Stufe des Denkmalpodestes und behielt – über mir wuchs der Obelisk und trug die verregnete Goldkugel – eine halbe, wenn nicht dreiviertel Stunde lang den Feldstecher vor den Augen. Erst als mir alles verschwamm, ließ ich das Glas sinken und guckte in die Hagebuttenbüsche.
    Also, es rührte sich nichts auf dem Kahn. Deutlich standen zwei leere Knobelbecher. Zwar gingen wieder Möwen über dem Rost, setzten auf, puderten das Deck und das Schuhzeug; aber was können
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