Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
dem Strießbach, einem Rinnsal voller Blutegel. Es machte sich gut, am Geländer zu hängen und auf Ratten zu warten. Jede Brücke ließ das Gespräch von Banalem, etwa mühsamen Wiederholungen schülerhafter Weisheiten über Kriegsschiffe und ihre Panzerstärke, Bestückung und Geschwindigkeit in Knoten, zur Religion und den sogenannten letzten Fragen wechseln. Auf der kleinen Neuschottlandbrücke starrten wir zuerst lange in den junimäßig ausgesternten Himmel, starrten dann – und jeder für sich – in den Bach. Mahlke halblaut, während sich unten der flache Ausfluß des Aktienteiches an Konservendosen brach und den Hefedunst der Aktienbierbrauerei mitführte: »Natürlich glaube ich nicht an Gott. Der übliche Schwindel, das Volk zu verdummen. Die einzige, an die ich glaube, ist die Jungfrau Maria. Deshalb werde ich auch nicht heiraten.«
    Das war ein Sätzchen, knapp und wirr genug, um auf einer Brücke ausgesprochen zu werden. Mir blieb der Satz. Wenn immer ein Bach, ein Kanal von einem Brückchen überspannt wird, wenn immer es unten gurgelt und sich an jenem Gerumpel bricht, das überall unordentliche Leute von Brücken in Bäche und Kanäle werfen, steht Mahlke in Knobelbechern, Überfallhosen, im Panzeraffenjäckchen neben mir, läßt den großen Artikel an seinem Hals, indem er sich übers Geländer beugt, lotrecht hängen, triumphiert ernst und als Clown über Katze und Maus mit unwiderlegbarem Glauben: »Natürlich nicht an Gott. Schwindel, Volk zu verdummen. Einzige ist Maria. Werde nicht heiraten.«
    Und er sprach noch eine Menge Worte, die in den Strießbach fielen. Vielleicht umkreisten wir zehnmal den Max-HalbePlatz, liefen zwölfmal den Heeresanger von unten nach oben und zurück. Standen unschlüssig an der Endstation der Linie Fünf. Sahen nicht ohne Hunger zu, wie Straßenbahnschaffner und -schaffnerinnen mit Dauerwellen im blauverdunkelten Anhänger saßen und in Butterbrote bissen, aus Thermosflaschen tranken.
. . . und einmal kam eine Bahn – oder hätte eine Bahn kommen können, in der Tulla Pokriefke, die seit Wochen Kriegshilfsdienst leisten mußte, als Schaffnerin mit schiefem Käppi saß, Wir hätten sie angesprochen, und ich hätte mich bestimmt mit ihr verabredet, wenn sie auf der Linie Fünf Dienst getan hätte. So aber sahen wir nur ihr kleines Profil hinter trüb blauem Glas und waren nicht sicher.
    Ich sagte: »Mit der solltest Du es mal versuchen.«
    Mahlke gequält: »Hast doch gehört, daß ich nicht heiraten werde.«
Ich: »Das würde Dich auf andere Gedanken bringen.«
Er: »Und wer bringt mich danach wieder auf andere Gedanken?«
Ich versuchte zu scherzen: »Die Jungfrau Maria natürlich.«
Er hatte Bedenken: »Und wenn Sie beleidigt ist.?«
Ich vermittelte: »Wenn Du willst, werde ich morgen früh bei Gusewski ministrieren.«
Überraschend schnell kam sein »Abgemacht!« und er bewegte sich auf jenen Anhänger zu, der immer noch Tulla Pokriefkes Profil als Straßenbahnschaffnerin versprach. Bevor er einstieg, rief ich: »Wie lange hast Du eigentlich noch Urlaub?«
Und der Große Mahlke sagte aus der Tür des Anhängers heraus: »Mein Zug fuhr vor viereinhalb Stunden und wird jetzt, wenn nichts dazwischengekommen ist, kurz vor Modlin sein.«

XIII
    »Misereatur vestri omnipotens Deus, et, dimissis peccatis vestris . . .« hob es sich seifenblasenleicht von Hochwürden Gusewskis gespitztem Mund, schillerte regenbogenbunt, schaukelte, vom insgeheimen Strohhalm entlassen, unschlüssig, stieg endlich und spiegelte Fenster, den Altar, die Jungfrau, spiegelte Dich mich alles alles – und platzte schmerzlos, sobald der Segen Blasen warf: »Indulgentiam, absolutionem et remissionem peccatorum vestrorum . . .« Aber gleich nachdem das Amen der sieben oder acht Gläubigen auch diese gehauchten Kugeln gespießt hatte, hob Gusewski die Hostie, ließ mit vollendeter Lippenstellung die ganz große und entsetzt in der Zugluft zitternde Seifenblase wachsen, hob sie mit hellroter Zungenspitze ab: und sie stieg lange, ehe sie fiel und nahe der zweiten Bank vor dem Marienaltar verging: »Ecce Agnus Dei. . .«
    Mahlke kniete als erster und bevor sich das »Herrichbinnichtwürdigdaßdueingehstuntermeindach« dreimal wiederholt hatte, an der Kommunionbank. Noch ehe ich Gusewski die Altarstufen hinunter und vor die Bank schleuste, ließ er den Kopf in den Nacken sinken, bettete sein spitzes und übernächtigtes Gesicht parallel zur geweißten Betondecke der Kapelle und trennte mit der Zunge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher