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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus
Autoren: Günter Grass
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der Horst-Wessel-Oberschule: »Die Ordnung der Anstalt verlangt. ..« Und Klohse ließ sich vom Oberschulrat bestätigen, daß ein ehemaliger Schüler, dessen Vorgeschichte, selbst wenn er, doch gerade in Anbetracht der schweren und ernsten Zeiten, ohne allerdings jener Affäre übertrieben Bedeutung beizumessen, zumal der Fall schon vor geraumer Zeit, dennoch und weil der Fall beispiellos, seien die Kollegien beider Anstalten übereingekommen, daß . . . Und Klohse schrieb einen Brief, ganz privat. Und Mahlke las, daß Klohse nicht so könne wie sein Herz wolle. Es seien leider Zeit und Umstände dergestalt, daß ein erfahrener und von der Bürde des Berufes gezeichneter Schulmann nicht einfach und väterlich sein Herz sprechen lassen dürfe; er bitte im Sinne der Anstalt und hinweisend auf den alten Conradischen Geist, um mannhafte Unterstützung; gerne wolle er sich jenen Vortrag anhören, den Mahlke, nun hoffentlich bald und ohne jeden bitteren Gedanken, in der Horst-Wessel- Schule zu halten gedenke; oder aber, er möge, wie es schon immer dem Helden ziemte, den besseren Teil der Rede wählen und schweigen.
    Aber der Große Mahlke befand sich in einer Allee, ähnlich jener tunnelartig zugewachsenen, dornenreichen und vogellosen Allee im Schloßpark Oliva, die keine Nebenwege hatte und dennoch ein Labyrinth war: während er tagsüber schlief, mit seiner Tante Mühle spielte oder ermattet tatenlos das Ende seines Urlaubs abzuwarten schien, schlich er mit mir, ich ihm hinterdrein, nie voraus, selten zur Seite, durch die Langfuhrer Nacht. Nicht ziellos irrten wir: jene stillvornehme, den Vorschriften des Luftschutzes gehorchende Baumbachallee, in der es Nachtigallen gab, in der Oberstudienrat Klohse wohnte, kämmten wir ab. Ich, müde in seinem Uniformrücken: »Mach keinen Quatsch, Siehst doch, daß Du nicht durchkommst. Was kann Dir schon daran liegen. Die paar Tage Urlaub, die Du noch hast. Wie lange haste eigentlich noch Urlaub? Mensch, mach bloß keinen Quatsch . . .«
    Aber der Große Mahlke hatte eine andere Melodie in seinen abstehenden Ohren, als meine monoton ermahnende Litanei. Bis zwei Uhr früh belagerten wir die Baumbachallee und ihre zwei Nachtigallen. Zweimal hatten wir ihn, er war in Begleitung, passieren lassen müssen. Als aber nach vier durchlauerten Nächten Oberstudienrat Klohse alleine und gegen elf Uhr nachts, hoch und schmal in Knikkerbockern aber ohne Hut, ohne Mantel – denn die Luft war weich – vom Schwarzen Weg her die Baumbachallee hochkam, ließ der Große Mahlke seine linke Hand ausfahren und Klohses Hemdkragen mit der zivilen Krawatte fassen. Er drückte den Schulmann gegen einen kunstgeschmiedeten Eisenzaun, hinter dem Rosen blühten, die – weil es so dunkel war – besonders stark, und noch lauter als die Nachtigallen singen konnten, überall hindufteten. Und Mahlke nahm Klohses brieflichen Rat an, wählte der Rede besseren Teil, das heldische Schweigen und schlug wortlos, links rechts, mit Handrücken und Handfläche, in des Oberstudienrates rasiertes Gesicht. Beide starr und mit Haltung. Nur das Klatschen lebendig und beredt; denn auch Klohse hielt seinen kleinen Mund verschlossen und wollte Rosenduft nicht mit Pfefferminzatem mischen. Das geschah an einem Donnerstag und dauerte keine schmale Minute. Wir ließen Klohse am Eisenzaun stehen. Das heißt, Mahlke machte zuerst kehrt, schritt mit Knobelbechern über den kiesbestreuten Bürgersteig unter rotem Ahorn, der aber schwarz nach oben hin alles abschirmte. Ich versuchte, bei Klohse so etwas wie eine Entschuldigung anzubringen, für Mahlke – und für mich. Der Geschlagene winkte ab, sah schon nicht mehr geschlagen aus, stand gestrafft und verkörperte dunkel als Umriß, von Schnittblumen und seltenen Vogelstimmen unterstützt, die Anstalt, die Schule, die Conradische Stiftung, den Conradischen Geist, das Conradium; so hieß unser Gymnasium.
    Von dort aus, von jener Minute an, liefen wir durch unbelebte Vorortstraßen und hatten für Klohse kein Wörtchen mehr frei. Mahlke sprach betont sachlich vor sich hin: Problematisches, das ihn und zum Teil auch mich in jenem Alter beschäftigen mochte. Etwa:
    Gibt es ein Leben nach dem Tode? Oder: Glaubst Du an Seelenwanderung? Mahlke plauderte: »Ich lese neuerdings ziemlich viel Kierkegaard. Später mal mußt Du unbedingt Dostojewski lesen, und zwar, wenn Du in Rußland bist. Da wird Dir eine Menge aufgehen, die Mentalität und so weiter.«
    Mehrmals standen wir auf Brücken über
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