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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus
Autoren: Günter Grass
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sprechen. Werde Worte suchen, die zu Herzen gehen. Schade, daß sie Papa Brunies nach Stutthof gebracht haben. Der hätte ihm, mit dem guten alten Eichendorff in der Tasche, unter die Arme gegriffen.
    Aber Mahlke konnte niemand helfen. Vielleicht wenn ich mit Klohse gesprochen hätte. Aber ich sprach ja mit ihm, ließ mir eine halbe Stunde lang Pfefferminzworte ins Gesicht blasen, gab kleinlaut und verschlagen zurück: »Wahrscheinlich und nach menschlichem Ermessen haben Sie Recht, Herr Oberstudienrat. Aber könnte man nicht in Anbetracht, ich meine, in diesem besonderen Fall. Einerseits verstehe ich Sie vollkommen. Der unumstößliche Faktor: Die Ordnung der Anstalt. Nichts läßt sich ungeschehen machen, andererseits, und weil er seinen Vater so früh verloren hat . . .« Und mit Hochwürden Gusewski sprach ich, und mit Tulla Pokriefke sprach ich, damit sie mit Störtebeker und seinem Verein sprach. Ging zu meinem ehemaligen Jungbannführer. Der hatte von Kreta her ein Holzbein, saß in der Gebietsführung am Winterplatz hinterm Schreibtisch, war begeistert von meinem Vorschlag und schimpfte auf die Pauker: »Klar doch, machen wir. Soll herkommen, der Mahlke. Erinnere mich dunkel an ihn. War da nicht mal was? Schwamm drüber. Werde alles Mögliche zusammentrommeln. Sogar BDM und Frauenschaft. Werde schräg gegenüber, in der Oberpostdirektion, einen Saal organisieren, dreihundertfünfzig Stühle . . .« Und Hochwürden Gusewski wollte in der Sakristei seine alten Damen und ein Dutzend katholische Arbeiter versammeln, denn ein Gemeindesaal stand ihm nicht zur Verfügung.
    »Vielleicht kann ihr Freund, damit der Vortrag einen der Kirche gemäßen Rahmen erhält, anfangs etwas über den heiligen Georg sagen und zum Abschluß auf Hilfe und Kraft des Gebetes in großer Not und Gefahr hinweisen«, schlug Gusewski vor und versprach sich . viel von dem Vortrag.
    Am Rande erwähne ich noch jenen Keller, den die Halbwüchsigen um Störtebeker und Tulla Pokriefke Mahlke zur Verfügung stellen wollten. Ein gewisser Rennwarid, den ich flüchtig kannte – er ministrierte in der Herz-Jesu-Kirche – wurde mir von Tulla vorgestellt, machte geheimnisvolle Andeutungen und sprach von freiem Geleit für Mahlke, nur die Pistole müsse er abliefern: »Natürlich werden wir ihm, wenn er zu uns kommt, die Augen verbinden. Auch 'ne kleine eidesstattliche Erklärung von wegen Stillschweigen und so weiter, reine Formsache, wird er unterschreiben müssen. Selbstverständlich zahlen wir anständig. Entweder in bar oder mit Dienstuhren. Wir machen auch nichts umsonst.«
    Aber Mahlke wollte weder noch – und auch kein Honorar. Ich stieß ihn an: »Was willste eigentlich? Nichts ist Dir gut genug. Fahr doch nach Tuchel-Nord. Da ist jetzt ein neuer Jahrgang. Der Kammerbulle und der Küchenchef kennen Dich noch von damals und freuen sich bestimmt, wenn Du bei ihnen aufkreuzt und 'ne Rede hältst.« Mahlke hörte sich alle Vorschläge ruhig, stellenweis lächelnd an, nickte zustimmend, stellte sachliche, die Organisation der geplanten Veranstaltungen betreffende Fragen und lehnte, sobald dem jeweiligen Vorhaben nichts mehr im Weg stand, kurz und mürrisch alles, sogar eine Einladung der Gauleitung ab; denn er kannte von Anfang an nur ein Ziel: die Aula unserer Schule. Wollte im staubwimmelnden Licht stehen, das durch neugotische Spitzbogenfenster sickerte. Wollte gegen den Geruch der dreihundert laut und leise furzenden Gymnasiasten anreden. Wollte die abgewetzten Köpfe seiner ehemaligen Lehrer um sich und hinter sich versammelt wissen. Wollte jenes Ölbild am Ende der Aula als Gegenüber haben, das den Stifter der Anstalt, den Freiherrn von Conradi, käsig und unsterblich unter dickem spiegelndem Firnis zeigte. Wollte durch eine der altbraunen Flügeltüren hinein in die Aula, wollte nach kurzer, womöglich gezielter Rede durch die andere Tür hinaus; aber Klohse stand in kleinkarierten Knickerbockern vor beiden Türen gleichzeitig: »Als Soldat sollten Sie wissen, Mahlke. Nein, jene Putzfrauen seiften die Bänke ohne besonderen Grund ab, nicht für Sie, nicht für Ihre Rede. Es mag Ihr Plan noch so gut durchdacht sein, dennoch geht er nicht auf: Viele Leute – lassen Sie sich das gesagt sein – lieben Zeit ihres Lebens kostbare Teppiche und sterben dennoch auf rohen Fußbodenbrettern. Lernen Sie verzichten, Mahlke!« Und Klohse gab ein bißchen nach, rief eine Konferenz ein, und die Konferenz beschloß in Übereinstimmung mit dem Direktor
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