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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus
Autoren: Günter Grass
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sein Fehlen in dieser Organisation, die alle Jugendlichen vom vierzehnten Lebensjahr an betreute, wenig auf, denn die HJ wurde lascher geführt als das Jungvolk, war ein schlapper Verein, in dem Leute wie Mahlke untertauchen konnten. Zudem war er nicht im üblichen Sinne aufsässig, besuchte während der Woche regelmäßig die Heim- und Schulungsabende, machte sich auch bei den immer häufiger angesetzten Sonderaktionen, bei Altmaterialsammlungen, auch beim Sammeln für das Winterhilfswerk nützlich, sofern das Büchsenklappern nicht seine Frühmesse am Sonntagvormittag berührte. Das Mitglied Mahlke blieb innerhalb der staatlichen Jugendorganisation, zumal die Überweisung vom Jungvolk in die Hitlerjugend kein Sonderfall gewesen war, unbekannt und farblos, während ihm in unserer Schule, schon nach dem ersten Sommer auf dem Kahn, ein besonderer, kein schlechter, kein guter, ein legendärer Ruf anhing.
    Offensichtlich bedeutete Dir unser Gymnasium, im Vergleich mit der genannten Jugendorganisation, auf die Dauer mehr, als ein normales Gymnasium mit seiner teils steifen, teils liebenswürdigen Tradition, mit seinen farbigen Schülermützen, seinem oftberufenen Schulgeist an Erwartungen, wie Du sie genährt haben mußt, begleichen konnte.
    »Was hat er nur?«
»Der hat nen Tick, sag ich.«
»Vielleicht hängt das mit dem Tod von seinem Vater
    zusammen.«
»Und die Klamotten am Hals?«
»Und ewig rennt er beten.«
»Dabei glaubt er an nischt, sag ich.«
»Da ist der viel zu sachlich für.« »Und das Dinglamdei und
    nun auch noch das?« »Frag Du ihn, Du hast ihm doch damals die Katze . . .« Wir rätselten herum und konnten Dich nicht verstehen. Bevor Du schwimmen konntest, warst Du ein Nichts, das ab und zu aufgerufen wurde, zumeist richtige Antworten gab und Joachim Mahlke hieß. Dennoch glaube ich, wir saßen in der Sexta oder später, jedenfalls vor Deinen ersten Schwimmversuchen, eine Zeitlang in einer Bank; oder Du hattest Deinen Platz hinter mir oder auf gleicher Höhe mit mir in der Mittelabteilung, während ich in der Fensterabteilung neben Schilling saß. Später hieß es, Du hättest bis in die Quinta hinein eine Brille tragen müssen; fiel mir nicht auf. Auch Deine ewigen Schnürschuhe bemerkte ich erst, als Du Dich freigeschwommen hattest und einen Schnürsenkel für hohe Schnürschuhe am Hals zu tragen begannst. Große Ereignisse bewegten damals die Welt, doch Mahlkes Zeitrechnung hieß: Vor dem Freischwimmen, nach dem Freischwimmen; denn als überall, nicht auf einmal, sondern nach und nach, zuerst auf der Westerplatte, dann im Radio, danach in den Zeitungen der Krieg begann, war mit ihm, einem Gymnasiasten, der weder schwimmen noch radfahren konnte, nicht viel los; nur jenes Minensuchboot der Czaika-Klasse, das ihm später erste Auftrittsmöglichkeiten bieten sollte, spielte schon, wenn auch nur für wenige Wochen, seine kriegerische Rolle im Putziger Wiek, in der Bucht und im Fischerhafen Heia.
    Groß war die polnische Flotte nicht, aber ehrgeizig. Wir kannten ihre modernen, zumeist in England oder Frankreich vom Stapel gelaufenen Einheiten auswendig, und konnten uns ihre Bestückung, Tonnage, Geschwindigkeit in Knoten genauso fehlerlos vorbeten, wie wir etwa die Namen aller italienischen leichten Kreuzer, aller altmodischen brasilianischen Panzerschiffe und Monitore herunterschnurren konnten.
    Später führte Mahlke auch in dieser Wissenschaft und sprach die Namen japanischer Zerstörer von der modernen, erst achtunddreißig fertiggestellten Kasumi-Klasse bis zu den langsamer laufenden Booten der im Jahre dreiundzwanzig modernisierten Asagao-Klasse fließend und ohne Stocken aus, sagte : »Humiduki, Satuki, Yuduki, Hokaze, Nadakaze und Oite.«
    Die Angaben über polnische Flotteneinheiten waren schnell heruntergerasselt: Da gab es die beiden Zerstörer »Blyskawica« und »Grom«, Zweitausendtonnenboote, die ihre neununddreißig Knoten liefen, sich aber zwei Tage vor Kriegsausbruch absetzten, englische
    Häfen anliefen und in die englische Flotte aufgenommen wurden. – Die »Blyskawica« gibt es heute noch. Sie liegt als schwimmendes Kriegsmarinemuseum in Gdingen und wird von Schulklassen besucht.
    Denselben Kurs nach England nahm der Zerstörer »Burza«, ein Tausendfünfhunderttonnenboot, das dreiunddreißig Knoten lief. Von den fünf polnischen Unterseebooten gelang es nur dem Boot »Wilk« und, nach abenteuerlicher Fahrt ohne Seekarten und Kommandanten, dem Tausendeinhunderttonnenboot »Orzel«,
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