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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren
Autoren: James G. Ballard
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murmelte; Dr. Bodkin antwortete ruhig und bestimmt. Einige Augenblicke
lang setzte Bodkin noch seinen leisen, gleichmäßigen Monolog fort, ein paar
schwache Protestlaute erklangen, schließlich trat Stille ein.
    Leutnant Hardman, Seniorpilot des
Hubschraubers, den jetzt sein Kopilot, Sergeant Daley, flog, war außer Riggs
der einzige Offizier der Gruppe und bis vor drei Monaten Riggs' unmittelbarer
Stellvertreter gewesen. Ein intelligenter Phlegmatiker von zirka dreißig
Jahren, hatte sich von den anderen immer etwas ferngehalten und seine eigenen
Notizen über den Wechsel in Flora und Fauna gemacht – eine Art Amateurbiologe,
der sein eigenes Wertungssystem anwandte. Einmal hatte er Kerans seine
Notizbücher gezeigt, sich aber wieder ganz in sein Schneckenhaus zurückgezogen,
als Kerans ihn so taktvoll wie möglich darauf aufmerksam machte, daß die
Einteilungen nicht ganz stimmten.
    In den ersten zwei Jahren hatte sich
Hardman ausgezeichnet als Puffer zwischen Riggs und Kerans bewährt. Die
Mannschaft richtete sich nach dem Leutnant, und das hatte für Kerans den
Vorteil, daß sich nie das Zusammengehörigkeitsgefühl bildete, das ein
glücklicher veranlagter zweiter Offizier inspiriert hätte; für Kerans wäre
dadurch das Leben unerträglich geworden. Die lockeren Bindungen im
Hauptquartier, wo ein Ersatzmann binnen fünf Minuten voll akzeptiert wurde und
es keinen interessierte, ob jemand schon zwei Jahre oder erst zwei Tage dabei
war, hatte man hauptsächlich Hardmans Veranlagung zu danken. Wenn er ein
Korbball-Match oder eine Regatta auf der Lagune organisierte, so gab es keine
aufdringliche Angeberei, sondern nur lakonisches Desinteresse an Teilnahme oder
Nichtteilnahme der einzelnen.
    Seit kurzem hatten jedoch dunklere
Elemente Vorherrschaft in Hardmans Persönlichkeit gewonnen. Vor zwei Monaten
hatte er Kerans gegenüber zum erstenmal von gelegentlicher Schlaflosigkeit
gesprochen – oft hatte Kerans ihn von Beatrices Apartment aus lang nach
Mitternacht im Mondlicht neben dem Hubschrauber stehen und ins Wasser starren
sehen –, dann nahm er einen Malariaanfall zum Anlaß, sich vom Flugdienst zu
drücken. Während der einen Woche in seiner Kabine zog er sich mehr und mehr in
seine eigene Welt zurück, sah seine alten Notizbücher durch und fuhr wie ein
Blinder mit den Fingern über die Glaskästen mit den aufgespießten
Schmetterlingen und Riesenmotten.
    Die ›Krankheit‹ war nicht schwer zu
diagnostizieren. Kerans entdeckte bei Hardman dieselben Symptome wie an sich
selbst, einen schnelleren Eintritt in seine eigene ›Übergangszone‹; er ließ den
Leutnant in Ruhe und bat Bodkin, gelegentlich nach ihm zu sehen.
    Merkwürdigerweise nahm jedoch Bodkin
die Krankheit ernster.
     
    Kerans ging zum Ventilator vor;
Bodkin hob warnend die Hand. Die Rollos waren hochgezogen, und zu Kerans
Überraschung war die Klimaanlage abgeschaltet. Der Ventilator brachte nur
geringfügig kühlere Luft herein, als draußen war, aber die Klimaanlage hielt
die Raumtemperatur meist bei knapp über 20 Grad. Bodkin hatte nicht nur die
Anlage ausgeschaltet, sondern auch noch einen kleinen elektrischen Heizkörper
an der Steckdose für den Rasierapparat eingeschaltet. Das Gerät hatte nur
wenige Watt Stärke, schien aber in dem kleinen Raum wie eine Schmiedeesse zu
glühen. Kerans hatte das Ding im Laboratorium gebaut und den eingedrückten,
gekrümmten Spiegel um den einzigen Glühdraht angebracht. Er spürte einen
Schweißring um seinen Hals ausbrechen. Bodkin saß auf dem Stahlrohrstuhl, den
Rücken dem Feuer zugekehrt, zwei dunkle Flecken auf der Schulter seiner weißen
Jacke näherten sich einander; auch er war in Schweiß gebadet.
    Hardman lag auf einen Ellenbogen
gestützt, die breiten Schultern bedeckten die ganze Rückenlehne, in den Händen
hielt er die Kabel der Hörer, die über seinen Kopf gestülpt waren. Sein
schmales Gesicht mit dem großen Kinn war Kerans zugewandt, die Augen blickten
unverwandt auf den elektrischen Heizkörper. Der gekrümmte Spiegel warf einen
intensiven roten Lichtkreis auf die gegenüberliegende Wand, Hardmans Kopf war
genau vor seinem Zentrum, das Licht um ihn sah aus wie ein riesiger, glühender
Heiligenschein.
    Leises Kratzen klang von der winzigen
Platte auf dem tragbaren Plattenspieler auf dem Boden zu Bodkins Füßen. Erst
bei näherem Hinhören erkannte Kerans, daß es eher Trommelklang war. Als die
Platte zu Ende war, schaltete Bodkin das Gerät aus. Er notierte rasch etwas auf
einem
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