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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren
Autoren: James G. Ballard
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nach ihm. Vorne beim Dschungelrand, wo sich
ein Flüßchen seinen Weg zum großen Strom bahnte, rief er mehrmals mit schwacher
Stimme nach ihm. Dumpfes, leises Echo ertönte, aber Hardman meldete sich nicht.
Vielleicht trafen sie auf ihrer Odyssee nach Süden später wieder einmal
zusammen. Solange Hardmans Augen wenigstens die fernen Sonnensignale erkennen
konnten und er von keinem Leguan gewittert wurde, würde er sich Hand über Hand,
den Kopf den Sonnenstrahlen entgegengehoben, weitertasten.
    Kerans wartete noch zwei Tage bei der
Hütte, falls Hardman doch zurückkehrte, dann machte er sich auch auf den Weg.
Seine Medizinvorräte waren erschöpft, er trug nur noch einen Sack Beeren und
seinen Colt mit zwei Schuß Munition bei sich. Seine Uhr ging noch, er
verwendete sie als Kompaß und zählte die Tage, indem er jeden Morgen eine Kerbe
in seinen Gürtel machte.
    Er folgte dem Lauf des Flüßchens, um
zum fernen Strom zu gelangen. Die Regengüsse kamen immer noch in Abständen,
konzentrierten sich aber jetzt meist auf ein paar Stunden am Nachmittag und
Abend.
    Als der Fluß nach Westen bog,
beschloß er, direkt nach Süden vorzugehen. Seine neue Route führte in weniger
dichte und unwegsame Wälder und dann durch Sumpfland.
    Am Rande der Sümpfe kam er plötzlich
zu einer riesigen, fast zwei Kilometer breiten Lagune; durch den weißen
Ufersand stießen ein paar Wohnblockruinen – von weitem wirkten sie wie Strandhäuschen.
Er ruhte sich einen Tag lang in einem der Gebäude aus und versuchte, seinen
Knöchel zu heilen, der jetzt ganz geschwollen und schwarz verfärbt war. Vom
Fenster aus sah er den Nachmittagsregen erbarmungslos das Wasser peitschen; als
die Wolken sich verzogen hatten, lag das Wasser wieder glatt wie eine
Glasscheibe unter ihm; es strahlte jetzt in allen Farben zugleich, die es in
seinen Träumen gehabt hatte.
    Am starken Temperaturanstieg erkannte
Kerans, daß er sehr weit nach Süden vorgedrungen war. Es war ihm jetzt klar,
daß Hardman kaum noch lange leben würde, wenn er allein weiter durch den
Dschungel zog. Auch für sich selbst sah er keine besseren Chancen und blieb
vorerst gerne an dieser Lagune mit ihrem schönen weißen Strand und dem stillen
Dschungelgürtel ringsum.
    Tagsüber hatte die Luft fünfzig Grad
und mehr; Kerans dämmerte im Halbschlaf dahin und ließ die letzten Jahre Revue
passieren: Höhepunkt und Ausgangspunkt seiner neuronischen Odyssee waren die
Lagunen über London gewesen. Er sah Strangman vor sich, mit seinen Alligatoren,
und schließlich stieg Beatrices Bild vor ihm auf. Wo mochte sie sein, wie ging
es ihr?
    Nach einigen Ruhetagen band er sich
dann doch wieder eine Stütze ans Bein; mit dem Griff seines leeren Colts
kratzte er eine Botschaft in die Mauer unter dem Fenster – ob sie je ein Mensch
zu Gesicht bekommen würde?
     
    2. Tag. Habe
mich ausgeruht
    und ziehe weiter
nach Süden.
    Alles in
Ordnung. Kerans
     
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