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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren
Autoren: James G. Ballard
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und einen Warnschuß mit seiner Leuchtpistole abgeben.
    »Dr. Bodkin bat mich, Sie gleich zu
holen, wenn Sie kommen. Leutnant Hardman ist es heute nicht allzu gut
gegangen.«
    Kerans nickte und überblickte
aufmerksam das leere Deck. Die Leute waren entweder mit Riggs weggefahren,
saßen im Hubschrauber oder schliefen in ihren Kojen. Er hatte gehofft, eine
private Tour durch das Waffen- und Warenlager veranstalten zu können, und jetzt
strich ihm der Schotte Macready, dieser ewig aufmerksame Wachhund Riggs', um
die Füße und wollte ihn gleich in die Krankenstube auf das B-Deck bringen.
    Kerans betrachtete eifrig zwei
Anophelesmücken, die hinter ihm durch das Gitter geschlüpft waren. »Die kommen
immer noch herein«, sagte er zu Macready. »Was ist denn mit dem doppelten
Gitter, das Sie anbringen sollten?«
    Macready schlug mit seiner Kappe nach
den Insekten und sah sich unsicher um. Eine zweite Lage Drahtgitter um das
Hauptquartier war eines der Lieblingsprojekte Riggs. Immer wieder trug er
Macready auf, sich mit einer Gruppe an die Arbeit zu machen; da man aber dabei
auf einem hölzernen Gestell von einer Mückenwolke umgeben draußen in der Sonne
sitzen mußte, waren nur ein paar Stellen um Riggs Kabine doppelt abgedichtet
worden. Jetzt ging es weiter nach Norden, also war die Sache gar nicht mehr so
dringend, aber Macready hat ein echtes Presbytergewissen, das ihn nun nicht
mehr ruhen ließ.
    »Ich laß es heute abend machen«,
versicherte er Kerans und zog Kugelschreiber und Notizbuch aus der Hüfttasche.
    »Keine Eile, aber wenn Sie wirklich
nichts Besseres zu tun haben – Sie wissen doch, dem Colonel liegt sehr daran.«
Kerans überließ ihn seiner Betrachtung der metallenen Sehschlitze und ging über
Deck. Sobald er außer Sichtweite war, trat er durch die erste Tür ein.
    Auf dem C-Deck, dem untersten der
drei Decks, waren die Quartiere der Mannschaft und die Kombüse. Ein paar Leute
lagen in Tropenanzügen in ihren Kabinen, der Aufenthaltsraum war leer, neben dem
Tischtennistisch in der Ecke spielte ein Radio ohne Zuhörer. Kerans blieb
stehen, hörte sich eine Weile die rhythmischen Gitarrenklänge an, die vom Lärm
des Hubschraubers über der nächsten Lagune übertönt wurden, und ging dann die
innere Treppe zur Waffenkammer und zu den Werkstätten hinunter.
    Drei Viertel des Rumpfes nahmen die
Dieselmaschinen und die Treibstofftanks für die Flugzeuge ein.
    Das Waffenlager war geschlossen, alle
Gewehre und Maschinengewehre lagen in verschlossenen Kisten. Selbst wenn er eines
stahl, würde er es überhaupt benützen können? Die Pistole, die er in der
Schreibtischlade der Teststation aufbewahrte – mit fünfzig Schuß Munition, die
er unverbraucht jedes Jahr gegen neuen Vorrat eintauschte –, selbst die hatte
er nie abzufeuern versucht.
    Auf dem Weg nach oben fiel ihm hinter
dem Drahtgitter eine Kiste auf: hochexplosives Dynamit. Er griff mit den
Fingern durch das Gitter und wischte den Staub vom Packzettel: 8000 m/sek.
Gasdruck – Cyclotrimethylentrinitramin.
    Wofür man das wohl verwenden könnte?
Wäre eine tolle Sache, nach Riggs' Abzug eines der großen Gebäude in den
Ausfluß der Lagune stürzen zu lassen, um jede Rückkehr unmöglich zu machen.
Kerans lehnte sich geistesabwesend an eine Werkbank und spielte mit einem
Kompaß, den jemand dort repariert hatte. Ein schweres Ding – Kerans hob es auf
und wog es prüfend in der Hand.
    In Gedanken war er immer noch bei den
Explosivstoffen und erwog allen Ernstes, Detonationsstoff und Zündschnur zu
stehlen; er ging die Treppe hinauf und spielte dabei weiter mit dem Kompaß. Ein
Matrose ging an ihm vorbei, Kerans ließ das Ding schnell in der Jackentasche
verschwinden.
    Plötzlich sah er sich Riggs mitsamt
Hauptquartier und Teststation in die nächste Lagune katapultieren. Er rief sich
selbst zur Ordnung und versuchte, über seine absurde Fantasie zu lächeln. Wie
war er bloß darauf gekommen?
    Der schwere Kompaß zog ihm die Jacke
schief. »Aufpassen, Kerans«, mahnte er sich selbst, »du lebst in zwei Sphären.«
     
    Fünf Minuten später, als er die
Krankenstation auf dem B-Deck betrat, erwarteten ihn dringendere Probleme.
    Drei Männer bekamen Arzneien gegen
Hitze-Ulkus, der große Raum mit den zwölf Betten stand leer. Kerans nickte dem
Sanitäter zu und ging zu dem kleinen Einzelraum an der Steuerbordseite des
Decks.
    Die Tür war verschlossen; schon beim
Eintreten hörte er, wie der Patient sich ruhelos herumwälzte und ab und zu
etwas
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