Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren
Autoren: James G. Ballard
Vom Netzwerk:
Block, schaltete dann auch das Heizgerät ab und machte Licht.
    Hardman bewegte langsam den Kopf hin
und her, nahm die Hörer ab und gab sie Bodkin.
    »Pure Zeitverschwendung. Irres Zeug.
Die Platten klingen ganz verrückt, man kann das interpretieren, wie man will.«
Er versuchte, seinen massigen Körper auf dem engen Lager bequemer zu betten.
Trotz der Hitze stand nur wenig Schweiß auf seinem Gesicht und seiner nackten
Brust. Offenbar hätte er die Hitze des Heizgeräts gerne weiter gespürt.
    Bodkin stand auf, stellte den
Plattenspieler auf einen Stuhl und wickelte die Kabel der Hörer darum. »Vielleicht
ist es eine Art Rorschachtest der Ohren. Die letzte Platte klang doch
ausgesprochen beschwörend, finden Sie nicht?«
    Hardman zuckte betont vage die
Schultern; offenbar war er nicht gewillt, mit Bodkin zusammenzuarbeiten und
auch nur die kleinste Kleinigkeit zuzugeben. Dennoch hatte Kerans das Gefühl,
daß er das Experiment gerne mitmachte, wenn auch für seine eigenen Zwecke.
    »Vielleicht«, sagte er widerwillig.
»Aber ein konkretes Bild hatte ich dabei nicht.«
    Bodkin lächelte; er wußte von
Hardmans Widerstand und war bereit, ihm vorläufig nachzugeben. »Sie brauchen
sich gar nicht zu entschuldigen. Der Test ist meiner Meinung nach besser
verlaufen als alle anderen.« Er lud Kerans mit einer Handbewegung ein, näher zu
kommen. »Kommen Sie doch rein, Robert. Tut mir leid, daß es hier so heiß ist,
aber Hardman und ich haben ein kleines Experiment veranstaltet. Ich erzähl's
Ihnen dann auf dem Weg zur Station. So« – er wies auf eine Apparatur auf dem
Nachttisch, die aussah wie zwei Wecker, die Rücken an Rücken standen; grobe
metallene Verlängerungen der Zeiger waren ineinander verschlungen wie Beine
kämpfender Spinnen – »und jetzt lassen Sie das Ding da so lange wie möglich
laufen. Sie brauchen nur alle zwölf Stunden die Wecker wieder aufzuziehen. Sie
werden alle zehn Minuten aufwachen, gerade ausreichend, um Ihnen genug Ruhe zu
verschaffen, ehe Sie aus der Vorbewußtheitsphase in tiefen Schlaf sinken. Wenn
wir Glück haben, kommen die Träume nicht wieder.«
    Hardman lächelte skeptisch. Er sah
kurz zu Kerans auf. »Ich glaube, Sie erhoffen sich zu viel. Sie meinen wohl
eher, daß ich die Träume wenigstens nicht mehr merke.« Er nahm einen
offensichtlich vielbenützten grünen Ordner zur Hand, sein botanisches Tagebuch,
und blätterte gedankenlos darin herum. »Manchmal glaube ich, den ganzen Tag so
zu träumen. Jede einzelne Minute. Vielleicht geht es uns allen so.«
    Er wirkte entspannt, trotz der
Ermüdung, die sich deutlich um seine Augen und seinen Mund abzeichnete. Kerans
erkannte, daß die Krankheit, was immer auch ihr tieferer Grund sein mochte, das
Innerste dieses Mannes kaum berührte. Hardman war offenbar noch genauso
selbstbewußt wie früher.
    Bodkin tupfte sich das Gesicht mit
einem gelbseidenen Taschentuch ab und betrachtete Hardman nachdenklich. Seine
schmuddelige Baumwolljacke und die übrige merkwürdige Aufmachung, dazu sein
aufgequollenes, chininfarbenes Gesicht, ließen ihn zu Unrecht wie einen
schäbigen Quacksalber wirken und verbargen seinen scharfen Intellekt.
»Vielleicht haben Sie wirklich recht. Manche Leute behaupteten ja schon früher,
daß das Bewußtsein nichts als eine besondere Form des zytoplasmischen Komas ist
und das Nervensystem vom Traumleben ebenso berührt wird wie im sogenannten
Wachzustand. Jedenfalls müssen wir die Sache empirisch angehen und jedes nur
mögliche Mittel zu finden versuchen. Finden Sie nicht auch, Kerans?«
    Kerans nickte. Die Temperatur war
gesunken, er konnte wieder freier atmen. »Klimawechsel wird Ihnen
wahrscheinlich auch helfen. Die Atmosphäre in diesen Lagunen ist ziemlich
enervierend. In drei Tagen, wenn wir abreisen, werden wir uns alle besser
fühlen.«
    Er nahm an, daß man Hardman von der
unmittelbar bevorstehenden Abreise gesagt hatte; der scharfe Blick, den ihm der
Kranke zuwarf, während er sein Notizbuch sinken ließ, zeigte das Gegenteil. Bodkin
fing an, sich geräuschvoll zu räuspern, und begann über die Gefahren zu
sprechen, die durch Zugluft aus Ventilatoren entstehen. Kerans und Hardman
sahen sich schweigend an, dann nickte der Leutnant, blickte wieder in sein Heft
und sah von Zeit zu Zeit auf die Wecker.
    Obwohl er die Bemerkung absichtlich
gemacht hatte – in der Hoffnung, die Reaktion hervorzurufen, die auch prompt
eintrat –, war Kerans wütend über sich selbst; er wußte auch genau, warum
Bodkin
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher