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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis
Autoren: Uwe von Seltmann
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einen Kaffee bringen lassen?«
    »Danke«, winkte ich ab, »ich bin aufgedreht genug.« Stumpf hüstelte wieder und bohrte einen Brieföffner in seinen Daumen. »Woher, äh, wie, äh, hast du herausgefunden, dass ich, äh, dass ich mit der Frau Zorbas, dass die Frau Zorbas …«
    »Herr Stumpf«, sagte ich überlegen, »manchmal lernt man in zwei Monaten mehr als in einem ganzen Studium. Wie gesagt, die Methoden der Orientalen sind bisweilen nicht zimperlich.«
    »Haben Sie ihr Gewalt angetan?«, Immer wenn Stumpfsich über mich ärgerte, siezte er mich.
    »Nein«, grinste ich, »ganz im Gegenteil, ich war besonders lieb und nett zu ihr. Bitte ersparen Sie mir die Schilderung von Einzelheiten.«
    Stumpf hatte es die Sprache verschlagen. Ich grinste noch breiter. »Wie gesagt, ich habe im Orient viel gelernt. Es war ein Kinderspiel, von ihr alles herauszubekommen, was ich wissen wollte.«
    »Scher dich zum Teufel«, fluchte Stumpf. »Jedenfalls soll man sich sorgfältig hüten, von irgendeinem Menschen neuer Bekanntschaft eine sehr günstige Meinung zu fassen. Sonst wird man, in den allermeisten Fällen, zu eigener Beschämung, oder gar Schaden, enttäuscht werden. Das war Schopenhauer.«
    »Klugscheißer!« Stumpf warf mich aus seinem Zimmer. »Jetzt geht’s an die Feinarbeit«, sagte Helmut. Er hatte auf seinem Schreibtisch ein Sortiment Pfeifen und einen Stapel Papier liegen. »Wir haben den Aufmacher für die Seite eins und eine ganze Seite im Lokalteil. Außerdem müssen wir die Agenturen beliefern. Wir haben noch viel zu tun.«
    »Gönn mir wenigstens zwei Stunden Schlaf«, jammerte ich. »Leg dich aufs Sofa«, sagte Helmut, »aber schnarch nicht so laut. In zwei Stunden bist du wieder fit.« Wir schrieben die ganze Nacht hindurch und feilten an jedem Satz.
    »Heilig und Knecht lassen wir erst einmal aus dem Spiel«, entschied Helmut. »Damit setzen wir am Montag nach.« Gegen Morgen waren wir so weit fertig. Die chronique scandaleuse des Landtagsabgeordneten Bertold Pietsch war geschrieben, die Leidensgeschichte des Juden Schlomo Karlebach war erzählt. Die Geschichte vom Judenhaus hatte ein gutes Ende gefunden. Jetzt fehlten nur noch die Fotos aus Israel.
    Helmut und ich waren todmüde, aber zu aufgeregt, um schlafen zu gehen. Wir warteten auf den Eilboten und vertrieben uns die Zeit mit Backgammon. Pünktlich um zwölf Uhr mittags lieferte der Bote das ersehnte Päckchen. Helmut und ich lagen uns in den Armen.
    »Das wird mich meinen Posten kosten«, jammerte Stumpf, als er die fertigen Seiten betrachtete. Dann schickte er uns nach Hause.
    Ich fühlte mich wie ein Gott. Das Werk war vollbracht. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, etwas wirklich Sinnvolles getan zu haben. Glücklich und zufrieden, mit dem Lächeln des Siegers auf den Lippen, legte ich mich ins Bett. Meinen Eltern hatte ich noch aufgetragen, mich sofort nach Erscheinen der Samstagszeitung zu wecken, dann fiel ich in einen tiefen Schlaf und träumte von einer Karriere als Reporter bei einem großen Nachrichtenmagazin.
     
    34
     
    Am Samstagmorgen folgte das böse Erwachen. Die erste Seite der Lokalpost war mit einer langweiligen Bundestagsdebatte aufgemacht, im Lokalteil standen harmlose Portraits der Kandidaten des Wahlkreises. Auf unserer Seite war eine Reportage über eine Ostereier bemalende Frau, die eigentlich für die Ausgabe am Karsamstag vorgesehen war. Kein Wort über Pietsch, kein Satz über Karlebach, nichts über die Geschichte vom Judenhaus. Ich war verzweifelt. Ich stürzte ans Telefon und rief Helmut an. Er war ebenso verzweifelt. Dann radelte ich zu Stumpf und klingelte ihn aus dem Bett.
    »Was soll das?«, schrie ich ihn an und warf ihm die Zeitung vor die Füße.
    Stumpf hüpfte verlegen von einem Bein aufs andere. Dann versuchte er mir alles zu erklären. Dass Frick den Artikel noch gelesen hatte, dass er, Stumpf, sich bis aufs Blut für uns eingesetzt habe, aber nichts mehr zu sagen hätte, seitdem Frick die Mehrheitsanteile übernommen habe, dass Frick ihn vor die Wahl gestellt habe, entweder den Artikel zu drucken und zu gehen oder zurückzuziehen und Chefredakteur zu bleiben. Selbstverständlich habe er als Verbeugung vor dem hohen Gut der Pressefreiheit sofort seinen Rücktritt angeboten, aber Frick habe ihn genötigt, im Amt zu bleiben. Selbstverständlich werde die Geschichte vom Judenhaus noch erscheinen, aber erst in gebührendem Abstand zur Wahl und - das müsse ich verstehen - in einer
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