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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis
Autoren: Uwe von Seltmann
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treffe ich zufällig meinen alten Freund Joseph Heller, der mir erzählt, dass er all die alten Fotos aufbewahrt hat. Und dann tauchen Sie auf, sehen aus wie ihr Großvater und löchern mich mit Fragen zum Judenhaus.«
    »Sind Sie wegen der Fotos nach New York geflogen?«, fragte ich nach einer Weile.
    Karlebach zögerte. »Ich bin 1946 illegal nach Amerika eingereist. Auf einem Frachter, mutterseelenallein, verbittert, hasserfüllt. Ich wollte unbedingt Ehrlichmann wieder sehen. Ihm gab ich die Schuld an der Ermordung unserer Familie. Er hätte es in der Hand gehabt, uns alle zu retten, aber er hatte es nicht getan. Er hatte mir meine Jugend gestohlen. Das war für mich schlimmer als die Gräueltaten der Nazis. Ich fand seine Adresse heraus und suchte ihn auf. Er wohnte in einem heruntergekommenen Haus im jüdischen Viertel und lebte von seinem vergangenen Ruhm. Er soff den ganzen Tag und wenn er seinen Alkoholspiegel erreicht hatte, zog er sich einen weißen Anzug an und spielte in einem schäbigen Lokal auf seiner Geige schmalzige Schlager für ein paar abgetakelte Damen. Dann war er für ein paar Stunden der alte Charmeur und Herzensbrecher, den ich in Erinnerung hatte. Es gab immer noch genügend Frauen, die ihn anhimmelten und von denen er sich aushalten ließ.«
    Karlebach fragte Lea, ob sie uns heute auf dem Trockenen sitzen lassen wolle, und bestellte eine Flasche Rothschild. »Als ich an Ehrlichmanns Tür läutete, wurde er bleich wie die Wand. Er zuckte zusammen und stammelte, er habe ja nicht wissen können, wie schlimm es in Hitler-Deutschland wirklich war. Wenn er es geahnt hätte, hätte er viel mehr getan, um uns zu retten. Ich müsse ihm glauben, dass er alles in seiner Macht Stehende… Aber ich glaubte ihm kein Wort. Er entschuldigte sich tausendmal und wand sich wie ein lausiger Straßenköter. Ich ließ ihn spüren, dass ich für ihn nichts als Verachtung übrig hatte.
    Ehrlichmann wollte nun an mir all das wieder gutmachen, was er an unserer Familie versäumt hatte. Er wollte mir eine Wohnung und eine Stelle besorgen und mir Geld borgen. Er zwang mir seine Hilfe regelrecht auf, aber ich sagte zu ihm, dass ich auf seine Unterstützung keinen Wert legte. Sein schlechtes Gewissen und seine Schuldgefühle trieben ihn immer mehr in den Suff. Er flehte mich an, ich solle ihm endlich vergeben. Er bereue seine Schuld zutiefst und wolle endlich wieder Frieden in seiner Seele finden. Ich sagte, er solle sich zum Teufel scheren. So ging das über Jahre. Irgendwann hat er sich dann umgebracht.«
    »Und du hattest deine Rachegefühle befriedigt und warst glücklich und zufrieden«, sagte Leas Großmutter sarkastisch. Karlebach schüttelte bedächtig den Kopf und fuhr mit den Fingern über den Rand seines Weinglases. »Ich fühlte damals gar nichts«, sagte er, »weder Hass noch Erleichterung. Ehrlichmanns Tod war mir egal. Ein alter Säufer hatte sich das Leben genommen. Na und?«
    »Aber warum haben Sie dann New York fluchtartig verlassen?«, fragte ich.
    »Das ist die entscheidende Frage«, murmelte Leas Großmutter.
    Karlebach zuckte die Achseln.
    »Wann gestehst du dir endlich ein, dass du dir mit deinen ewigen Rachegefühlen nur selber geschadet hast?«, fragte sie nachdrücklich.
    »Du hast ja recht«, antwortete Karlebach. Nach einer Pause fuhr er fort: »Vielleicht hatte ich damals doch so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Ich bin mir sicher, wenn ich Ehrlichmann vergeben hätte, wäre er am Leben geblieben. Aber mit seinem Tod war für mich das Buch der Familien Karlebach, Rosenthal und Grünstein endgültig geschlossen. Ich war damals Mitte dreißig, allein stehend und für niemanden verantwortlich. Also habe ich meinem Chef gekündigt und ein eigenes Geschäft aufgemacht.«
    »Aber mit Opa Bernhard haben Sie den Kontakt gehalten«, sagte ich.
    »Er war der einzige Mensch, dem gegenüber ich so etwas wie Dankbarkeit empfand. Kurz vor meiner Abreise aus New York habe ich ihm unsere Familienbibel geschickt. Ehrlichmann hatte sie mir geschenkt. Ich hatte den Glauben verloren und wollte das Buch nicht mehr sehen. Es war mit zu vielen Erinnerungen verbunden.«
    »Warum haben Sie Opa Bernhard im vergangenen Herbst zum ersten Mal seit 1974 wieder geschrieben?«
    »Ich wusste nicht, ob er überhaupt noch lebte. Es war Esters Einfluss. Sie drängte mich. Aber ich erhielt von Bernhard keine Antwort. Dann bat ich Eli Levy, der auf einen Kongress nach Deutschland flog, einen Abstecher ins Dorf zu machen. Er
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