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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis
Autoren: Uwe von Seltmann
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brachte mir Fotos von Bernhards Grab. Bernhard war einen Tag, nachdem ich ihm geschrieben hatte, gestorben. Er konnte meinen Brief nicht mehr lesen. Für eine Versöhnung war es zu spät.«
    »Was ist 1974 beim Judenhaus geschehen?« Das war die Frage, auf die ich seit Monaten eine Antwort suchte. Karlebach öffnete den Briefumschlag und holte die Fotos heraus. »Ehrlichmann hatte mir einen Abschiedsbrief geschrieben und diese Fotos beigelegt. Den Brief hatte er an mein Büro geschickt. Ich las ihn, schaute mir die Bilder an und warf sie in den Papierkorb. Ich wollte sie nicht sehen. Am nächsten Tag kündigte ich. Mein Kollege Joseph Heller hat die Fotos gerettet und bis heute aufbewahrt. Jetzt bin ich ihm dankbar dafür.« Karlebach füllte unsere Gläser mit dem schweren Rotwein. »Sie haben mich gefragt, ob ich wegen der Fotos nach New York geflogen bin. Ja, aber es war nur ein zweitrangiger Grund. Ester hatte mich zu der Reise gedrängt. Ich sollte endlich Ehrlichmanns Grab aufsuchen und ihn um Verzeihung für meine starrsinnige Rachsucht bitten, sagte sie. Erst wollte ich nicht, aber dann erschienen Sie und erinnerten mich an Ihren Großvater. Die Schrecken der KZ-Zeit wurden dadurch wieder lebendig. Nächtelang konnte ich kaum schlafen. Ich hatte fürchterliche Alpträume und bekam Herzbeschwerden. Dann flog ich los und suchte Ehrlichmanns Grab. Ich fand es auf einem alten jüdischen Friedhof in Brooklyn. Das Grab war völlig verwittert und von Pflanzen überwuchert. Ich habe nach Sitte der Juden einen Stein auf Ehrlichmanns Grab gelegt. Danach waren die Alpträume verschwunden. Ich konnte wieder schlafen.«
    Ester Lewin griff Karlebachs Hand. »Ihr Männer solltet öfter auf uns Frauen hören«, lächelte sie und wandte sich an mich. »Ich bin heute nach Jerusalem gekommen, um Sie kennen zu lernen», sagte sie. »Sie haben Schlomo dazu gebracht, aus seinem Panzer herauszukriechen. Und jetzt«, befahl sie Karlebach, »erzähl dem jungen Mann endlich die Geschichte vom Judenhaus.«
     
    32
     
    »Schläfst du schon wieder ein?« Helmut schüttelte mich. »Die Suppe wird kalt.«
    »Ich habe versucht, mich zu erinnern«, maulte ich. »Stör mich bitte nicht!«
    »Wenn wir die Geschichte noch wirksam platzieren wollen«, mahnte er, »müssen wir sie heute Nacht schreiben. Stumpf will sie morgen Mittag haben. Das ist Chefsache!«
    »Aber was nützt uns die tollste Geschichte, wenn wir sie nicht beweisen können«, jammerte ich. Wir löffelten schweigend unsere Suppe. Ich träumte von Mustaphas köstlich gewürzten Hähnchenschenkeln. »Wann willst du denn die schöne Araberin heiraten?«, fragte Helmut plötzlich.
    »Fatma …«, seufzte ich und griff nach der Schüssel Pommes, die eine dicke Bedienung auf unseren Tisch gestellt hatte. Als ich mir eine ordentliche Portion auf meinen Teller schaufeln wollte, glitt mir die Schüssel aus den Händen und die Pommes fielen auf die Tischdecke. Ich sammelte sie auf und fand plötzlich mein Gedächtnis wieder. Ich brüllte einen arabischen Fluch, den ich von Ahmed gelernt hatte. Helmut, die dicke Bedienung und die Bauern am Nebentisch starrten mich entgeistert an. »Die Tischdecke!«, rief ich. »Die rot-weißen Karos!« Tiefe Sorgenfalten zogen über Helmuts Stirn. Er fühlte meinen Puls.
    »Rot-weiß-kariert! Ich weiß jetzt, was passiert ist! Mein Gedächtnis ist wieder da!«
    Ich rüttelte Helmut an den Schultern. »Der Typ mit dem rot-weiß-karierten Hemd. Der war’s!« Die dicke Bedienung servierte mir einen Schnaps. »Ist gut für die schwachen Nerven von euch Stadtmenschen«, sagte sie und deutete auf einen der Bauern. »Geht auf seine Kosten.«
    Ich prostete ihm zu und bestellte eine Lokalrunde. Dann begann ich zu erzählen: »In der vergangenen Woche kam ein neuer Gast in Ahmeds Hotel. Ein Mann, ungefähr Mitte vierzig. Er trug eine grüne Kniebundhose und ein Wanderhemd mit roten und weißen Karos. Ein rot-weiß-kariertes Wanderhemd. Dasselbe Muster wie diese Tischdecke. Schon am ersten Abend nach seiner Ankunft sprach er mich an, ob ich ihm Informationen über Jerusalem geben könne. Er stellte sich nur mit Vornamen vor, Alfons hieß er, und kam angeblich aus Stuttgart. Er machte einen leicht vertrottelten und hilflosen Eindruck und hing wie eine Klette an mir. Ich nahm ihn mit in Mustapha’s Restaurant, schickte ihn auf eine Tagestour mit Yassir und half ihm, wo ich konnte. Gestern Abend richtete Mustapha eine rauschende Abschiedsparty für mich aus. Alle
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