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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis
Autoren: Uwe von Seltmann
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kostete mich einiges an Überwindung, ausgerechnet den Sohn des Mannes anzusprechen, der meine Familie auf dem Gewissen hatte. Zunächst begegnete mir Pietsch mit ausgesuchter Höflichkeit. Er war sehr zuvorkommend und versicherte mir, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Es werde einen für beide Seiten erträglichen Kompromiss geben, versprach er. Schließlich hätte das deutsche Volk an den Juden auch etwas wieder gutzumachen, sagte er gönnerhaft. Ich vertraute ihm und reiste wegen dringender Geschäfte zurück nach Sidney.«
    Karlebach schickte Lea nach einem Glas Wasser und bestellte für uns noch eine Flasche Rothschild. »Wie schmeckt denn der Rothschild?«, fragte Helmut. »Vorzüglich«, sagte ich und schnalzte mit der Zunge. »Für einen Vormittag vielleicht etwas zu schwer, aber da in Israel der Tag bei Sonnenuntergang beginnt, habe ich den Wein ja eigentlich am Abend getrunken. Und dafür war er genau richtig.«
    Helmut schaute mich skeptisch an, dann konzentrierten wir uns wieder auf das Band.
    »Die Monate verrannen, aber nichts geschah«, erzählte Karlebach. »Meine Briefe blieben unbeantwortet. Wenn ich anrief, ließ Pietsch sich verleugnen. Ich flog also im April 1974 noch einmal nach Deutschland - auch um endlich das Säckchen Juwelen abzuholen, das Onkel Salomon auf dem Grundstück vergraben hatte, damit es nicht in die Hände der Nazis fiel.«
    »Warum hatten Sie die Juwelen denn nicht bei Ihrem ersten Besuch mitgenommen?«, unterbrach ich den Bericht. »Es hatte eine banale Ursache«, antwortete Karlebach. »Das Wetter. Es hatte kräftig geschneit und der Schnee blieb den ganzen Dezember über liegen. Mir fehlte die Orientierung, weil sich in den Jahren vieles verändert hatte. Ich hätte bei meiner Suche nur unnötig Spuren hinterlassen.« Wir hörten, wie Lea den Korken mit einem lauten Plopp aus der Weinflasche zog und die Gläser füllte. Dann brach die Aufnahme ab. »Keine Panik«, beruhigte ich Helmut und drehte die Kassette um. Zunächst rauschte und heulte es, Autos hupten, der Muezzin rief, dann pustete jemand bis zur Schmerzgrenze ins Mikro und sagte: »Alles klar, Band läuft.« Helmut grinste mich an.
    »Wo war ich stehen geblieben?«, hörten wir Karlebach fragen.
    »Im Schnee«, sagte Leas Großmutter. »Bei meinem zweiten Besuch«, fuhr Karlebach fort, »spürte ich im ganzen Dorf nichts als Misstrauen und Feindschaft. Wenn ich den Lebensmittelladen betrat, verstummten die Gespräche, in der Gaststätte hörte ich die alten Hetzparolen. Hier riecht’s nach Gas, sagte jemand am Tresen. Ein anderer pfiff das Horst-Wessel-Lied. Bürgermeister Pietsch fertigte mich kurz angebunden ab und sagte, die Sache mit dem Grundstück habe sich erledigt und er könne leider nichts mehr für mich tun. Es wäre für alle Beteiligten besser, wenn ich das Dorf so rasch wie möglich verlassen würde. Auch Heilig und Knecht verweigerten mir ein Gespräch. Und Bernhard? Er verhielt sich merkwürdig, als ob er unter Druck gesetzt wurde oder etwas zu verbergen hatte. Ich hatte in Merklinghausen nichts verloren. Also schlich ich nachts in den Garten des Judenhauses und versuchte mich daran zu erinnern, wo Onkel Salomon die Juwelen vergraben hatte. Die beiden Sträucher waren zu Bäumen herangewachsen, der Kaninchenstall war abgerissen. Wo die Rosenthals ihren Gemüsegarten angelegt hatten, wuchs jetzt Gras. Ich fühlte mich fremd und orientierungslos. Dann erblickte ich die Trauerweide am Rand des Grundstücks, die Philipp Rosenthal im Sommer 1938 gepflanzt hatte. Von dort machte ich einen Schritt in Richtung Hainbuchenhecke und begann leise zu graben. Irgendwo dort wähnte ich den Schmuck.
    Ich hatte fürchterliche Angst, dass mich jemand entdecken könne, denn gleich hinter der Hecke war das Gässchen, das zur Wirtschaft führte. Dort brannte noch Licht und ich hörte die Lieder der Betrunkenen. Vorsichtig trug ich die Grasnarbe ab und räumte die Steinchen beiseite. Ich grub mit bloßen Händen. Doch irgendwann musste ich meinen Klappspaten benutzen. Jedes Mal, wenn ich auf einen Stein stieß und es Pling machte, zuckte ich zusammen. Kurz vor drei Uhr in der Früh traf ich auf einen Widerstand. Aufgeregt kratzte ich mit meinen Händen den Lehm von der Dose und legte sie frei. Ich hatte den Schmuck gefunden! Erleichtert wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Es war ein später Triumph über die Nazis. Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, die Juwelen noch vorzufinden. Ich malte mir die wütenden
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