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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis
Autoren: Uwe von Seltmann
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gekürzten und weniger provokanten Version.
     
    Epilog
     
    Vier Wochen später, an einem verregneten Samstag im April, saß ich nachmittags schon in der Sonne und sann über mein Leben nach. In meiner abgrundtiefen Ohnmacht hatte ich nicht einmal einer anderen Zeitung die Geschichte vom Judenhaus angeboten. Jetzt war alles zu spät. Ich zerfloß in Selbstmitleid und überlegte, ob ich angesichts meiner drei unlösbaren Probleme Alkoholiker werden sollte: kein Geld, keine Arbeit und keine Frau. »Die Antwort auf die Theodizeefrage liegt auf der Hand«, sagte ich zu dem Totengräber Oleander, der mir schweigend Gesellschaft leistete. »Ich wundere mich, dass ich nicht schon viel früher darauf gekommen bin. Als Gott die Welt erschuf, hat er die Gerechtigkeit vergessen. So einfach ist das.«
    Oleander nickte mit wissender Miene und kratzte sich hinter dem Ohr. »Nur der Tod ist gerecht. Der holt uns alle.«
    »Pietsch«, jammerte ich, »ist mit einem neuen Rekordergebnis wieder gewählt worden und triumphierend als Wirtschaftsminister in die Landeshauptstadt eingezogen. Simona Zorbas hat er als persönliche Referentin gleich mitgenommen. Helmut hat seine Stelle gekündigt und sich in sein Häuschen in Italien eingeigelt. Frick hat Amacker zum neuen stellvertretenden Chefredakteur in die Lokalpost berufen. Deborah hat sich mit dem kleinen Krankenpfleger verlobt, weil der Aikido kann und ich nicht.«
    »Mikado?«
    »Aikido. Und die Verbrecher Heilig und Knecht leben weiter in Saus und Braus und freuen sich über den sichtbaren Segen des Herrn.«
    »Das letzte Hemd hat keine Taschen.«
    »Und ich? Da ich im Namen der Gerechtigkeit nach Israel gereist bin, habe ich meinen Seminarschein nicht bekommen. Es stehe mir zwar frei, mein Examen noch abzulegen, hat Oberkirchenrat Knecht mir mitgeteilt, aber für die Aufnahme in den Dienst der Kirche sei ich nun bedauerlicherweise zu alt. Auch die Kirche habe Gesetze und gegen die dürfe nicht verstoßen werden.«
    »Dann musst du wenigstens keine Beerdigungen halten.«
    »Sieben Jahre lang habe ich für die Lokalpost geschuftet. Für ein paar Groschen bin ich zu jedem Termin gerannt, den sie mir aufgetragen haben. Bei Wind und Wetter. Und was habe ich davon gehabt? Dieser widerliche Amacker ruft mich in sein Büro, weil Stumpf nichts mehr zu sagen hat, und teilt mir mit, dass wegen der Sparmaßnahmen leider keine neuen Stellen mehr besetzt werden. Bei ihm sei noch eine Ausnahme gemacht worden, weil man an ihm nicht vorübergehen konnte, aber ich … Er wolle jedoch nicht nachtragend sein und biete mir deshalb an, weiterhin als freier Mitarbeiter für die Lokalpost zu arbeiten. Mit gekürztem Zeilenhonorar, versteht sich.«
    Oleander kratzte sich wieder hinter dem abstehenden Ohr. »Ich brauche Hilfe auf dem Friedhof. Vielleicht sollte ich mit dem Ortsvorsteher sprechen, dass er dich einstellt.«
    »Umm Suitana hat mir prophezeit, dass ich bald Vater eines Sohnes werde. Aber ihre Weissagungen erfüllen sich nie. Meinem Freund Ahmed hat sie verkündet, dass er in der Lotterie gewinnt und als reicher Geschäftsmann nach Amerika geht. Und was macht er? Verhungert in seinem eigenen Hotel. Außerdem habe ich sowieso kein Glück bei Frauen.«
    »Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.«
    Ich zahlte meine Zeche, zerrte Axel unter dem Tisch hervor und trat in den Regen hinaus. Meine Füße trugen mich ins Italienische Eck. Ich setzte mich auf die Bank und beobachtete den schwarzen Vogel, der sich auf dem Wipfel der Eiche niedergelassen hatte und krächzte. »Opa Bernhard hast du geholt«, sagte ich, »Onkel Alfred ist gestorben, Axel wird auch nicht mehr lange leben …« Von irgendwoher näherte sich ein Auto mit hoher Geschwindigkeit. Ich hörte zwei Türen klappen, dann rief jemand meinen Namen.
    »Hier steckst du!«, rief mein Bruder.
    »Wir haben dich überall gesucht«, sagte mein Kumpel Andi.
    »Für dich ist ein Telegramm gekommen!«
    »Aus Israel. Von …«
    Ich riss meinem Bruder das Telegramm aus der Hand, faltete den Zettel auseinander, legte ihn wieder zusammen und sah, wie der schwarze Vogel auf dem Ast im Wipfel der Eiche seine Flügel ausbreitete, zu mir herabflog, mir zuzwinkerte und sich dann in den Himmel erhob - immer höher und höher, bis ich ihn aus den Augen verlor. »Ich muss fort«, sagte ich. »Jemand wartet auf mich.«
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