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Karl der Dicke & Genossen

Karl der Dicke & Genossen

Titel: Karl der Dicke & Genossen
Autoren: Werner Schrader
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Jahreszeit, aber was man gerne tut, das ist an keine Zeit gebunden. Und darum sang Karl so laut und gefühlvoll, daß die Katze, die neben ihm auf einem Holzstapel gesessen hatte, die Vorderpfoten gegen die Ohren preßte und wie ein Känguruh auf den Hinterpfoten davonhüpfte. Der Friseur vom Haus gegenüber schloß das Fenster, weil er seine Kunden nicht verlieren wollte.
    Als Karl mit der Putzerei fertig war, badete er sein Fahrrad innerlich und äußerlich mit einem halben Liter Öl und lehnte es dann zum Abtropfen gegen den Hühnerstall. Zufrieden betrachtete er sein Werk.
    „Mein lieber Karl“, sagte er, „das hast du mal wieder großartig gemacht.“
     
    Etwa zur gleichen Zeit lag Egon Langfuß auf dem Rasen im Liegestuhl und nahm ein Sonnenbad. Auf seinem Bauch stand ein Teller mit Pflaumen, die er gedankenvoll in sich hineinstopfte. Die Steine spuckte er nach rückwärts über seinen Kopf. Das war sehr schwierig und verlangte Konzentration. Aber die brachte Egon auf, er hatte Zeit genug, denn er brauchte sich nicht mit einer so niedrigen Sklavenarbeit wie Radputzen zu quälen. Dafür hatte er seinen kleinen Bruder, der auf diese Weise auch den Hauch des bevorstehenden Abenteuers verspürte.
    Egon verstand es, Arbeiten zu vergeben und schmackhaft zu machen.
    „Stell dir vor“, sagte er, „daß diese Tretkurbel, über die du jetzt stumpfsinnig mit dem Lappen reibst, sich hunderttausendmal drehen wird, von meiner nimmermüden Muskelkraft angetrieben, und daß sie in der Sonne Hamelns glänzen wird und im Mondlicht von Bad Pyrmont.“
    Peter staunte. Hunderttausendmal, dachte er. Ist das viel? Ich werde nachher mal die Lindenstraße hinunterfahren und zählen, wie oft ich trete.
    „Dir ist doch klar“, fuhr Egon fort, „daß nicht jeder seinen kleinen Bruder an sein Fahrrad heranlassen würde, besonders nicht vor so einer großen Fahrt? Wenn du da irgendwas durcheinanderbringst, kann das mein Leben kosten. Aber ich vertraue dir. Du weißt das wohl zu schätzen!“
    Da quetschte Peter die Finger seiner linken Hand empfindlich zwischen Speichen und Nabe des Hinterrades. Das änderte seinen sanften Sinn augenblicklich und öffnete ihm die Augen über sein Tun und das seines Bruders. Wütend warf er den Lappen weg, drückte die lädierten Finger vorsichtig mit der gesunden Hand und verzog das Gesicht vor Schmerzen. Er hatte genug, genug von der hochnäsigen Sprechweise seines Bruders und genug von der Putzerei. Die verletzte Hand vorsichtig schüttelnd, setzte er sich auf die Gartenbank.
    „Mach deinen Dreck allein!“ zischte er. „Ich habe keine Lust mehr.“
    Egon lauschte erstaunt.
    „Junge“, sagte er, „ist das dein Ernst? Du willst von meinem großmütigen Angebot keinen Gebrauch machen? Ja, weißt du denn nicht, daß ich natürlich viel lieber selbst mein Fahrrad putze? Überleg dir noch mal, was du da gesagt hast, bevor es zu spät ist!“
    Peter antwortete nicht. Er sah nur grimmig auf seine schmutzigen Hände. Da machte Egon sich die Mühe, den Pflaumenteller auf den Rasen zu stellen und sich hinzusetzen.
    „Laß die günstige Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen“, mahnte er, „in den nächsten vier Wochen wirst du keine Gelegenheit haben, mein Fahrrad zu putzen!“
    Aber Peter tippte sich an die Stirn und machte sich über die restlichen Pflaumen her. Erst als Egon ihm eine Mark Arbeitslohn anbot, ließ er sich erweichen, das unterbrochene Werk fortzusetzen. So konnte Egon seinen Platz im Liegestuhl wieder einnehmen.
    Guddel Schmalz betrieb Intensivpflege an seinem Fahrrad. Er entfernte alle Flecke mit einem Putzmittel, verlegte das Kabel vom Scheinwerfer zur Rückleuchte neu und ölte sogar die Pedalen. Nachdem er auch Flickzeug zusammengesucht und in der kleinen Reparaturtasche verstaut hatte, setzte er sich ins Gras und dichtete die Einleitungsgeschichte für Onkel Eduard. Er hatte ein Schulheft auf den Knien liegen und schrieb mit Bleistift. Das hatte ihm seine Mutter geraten. „Mit Bleistift kannst du auch im Regen schreiben“, hatte sie gesagt, der verwischt nicht.“
    Guddel dachte, daß er mit einem Loblied auf das Fahrrad beginnen müsse, und schrieb nach kurzem Nachdenken zügig und schnell:
    „Weißt du, verehrter Leser, was ein Fahrrad ist? Du lächelst und denkst, das sei eine dumme Frage, ein Fahrrad kenne doch jeder. Gewiß! Aber zwischen kennen und kennen gibt es Unterschiede. Du winkst ab und sagst, du seist im Bilde. Ein Fahrrad sei eine Maschine, die der
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