Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Karl der Dicke beißt sich durch

Karl der Dicke beißt sich durch

Titel: Karl der Dicke beißt sich durch
Autoren: Werner Schrader
Vom Netzwerk:
nicht jeder so ein klapperdürrer Knilch sein wie da!“
    Guddel hatte sich eine Schreibunterlage aus Sperrholz gebastelt und einen Blatthalter darangeschraubt. Er war nicht wenig stolz, als Karl beides begeistert lobte.
    „Du bist einfach ‘ne Wucht!“ rief er. „Wenn du damit vor die Leute trittst, macht das schwer Eindruck. Ich hab mir nur meine Englischkladde eingesteckt und einen angeknabberten Bleistiftstummel, aber ich will ja sowieso das meiste im Kopf behalten.“
    Egon klappte einen mittelgroßen Notizblock mit dicken Pappdeckeln auf.
    „Hier“, sagte er, „der ist handlicher als Guddels Nudelbrett und paßt in die Hosentasche, wenn es regnet.“
    „Ach nee!“wunderte sich Karl. „Nur wenn es regnet? Dann ist das aber ein ziemlich doofer Block!“
    Sie bestiegen ihre Fahrräder und fuhren los, ohne genau zu wissen, wohin. Klar war ihnen nur, daß sie die Stadt verlassen müßten.
    „Auf den Dörfern geschieht mehr Gutes als in der Stadt“, hatte Karl erklärt. „Da kennen die Leute einander und greifen sich hilfreich unter die Arme, wenn es nötig ist. In der Stadt sind sich alle fremd. Außerdem kann es unseren Lungen bestimmt nicht schaden, wenn sie mal für einige Stunden mit ozonreicher Landluft berieselt werden.“
    In Schwanewede, dem Dorf, das sie bald erreichten, stank es indessen genau so nach Benzin wie in der Stadt. Zwei Bauern waren an einer Straßeneinmündung mit ihren Traktoren und Anhängern zusammengestoßen. Nun standen sie
    voreinander und schimpften. Die Motoren liefen unterdessen weiter und pafften blaugraue Qualmwolken in die reine Landluft. Da wegen der querstehenden Anhänger ein Durchkommen auf beiden Straßen unmöglich war, stauten sich die Fahrzeuge. Auch sie stießen übelriechende Qualmwolken aus, denn die Fahrer, vor allem die vom Unfallort weiter entfernten, hatten den Motor nicht abgestellt, weil sie glaubten, sie könnten ihre Fahrt in wenigen Sekunden fortsetzen.
    „Mensch“, rief Egon, „das ist ja der reinste Gaskeller hier! Und so was nennst du ozonreiche Landluft! Laßt uns bloß abhauen!“
    Sie zwängten sich auf dem Fußweg an den Wagen vorbei und schnappten noch einiges von dem Rededuell der beiden Streitenden auf.
    „Hör dir nur genau an, wie friedlich die Leute auf dem Dorf sind, Karlchen!“ spottete Egon. „Gleich schmeißen sich die beiden gegenseitig in den Dreck!“
    „Das ist eine Ausnahmesituation“, sagte Karl. „Im normalen Alltag benehmen sie sich ganz anders.“
    „Der normale Alltag zählt nicht“, konterte Egon. „Nur in der Ausnahmesituation werden der wahre Charakter und die gute Kinderstube eines Menschen getestet.“
    In Meyenburg war die Luft rein. Kinder spielten vor der Kirche, eine Katze flitzte vor ihnen auf die andere Straßenseite, und zwei Frauen mit bunten Schürzen standen am hölzernen Zaun eines Vorgartens und unterhielten sich. „Seht ihr“, rief Karl, „hier ist die Welt noch in Ordnung, hier ist jeder darauf bedacht, dem andern eine Freude zu machen! Ich wette, wir kriegen hier so viel über gute Taten zu hören, daß wir damit drei Nummern unserer Zeitung füllen können!“
    „Vorsicht!“ warnte Egon. „Der Schein trügt!“
    „Das wollen wir doch mal sehen!“ rief Karl und radelte entschlossen auf die beiden Frauen zu. Hart vor ihnen bremste er so scharf, daß sein Reifen eine tiefe Schleifspur in den Sand zeichnete, und sprang vom Rad.
    „Guten Tag“, begann er. „Entschuldigen Sie, wenn ich Sie erschreckt haben sollte, das war nicht meine Absicht. Ich wollte Sie nur etwas fragen.“
    Guddel und Egon stiegen ebenfalls von ihren Rädern und gaben so zu erkennen, daß sie zu dem Fragenden gehörten. „Ich würde gern wissen“, fuhr Karl fort, „ob Sie in Ihrem Leben schon mal was Gutes getan haben.“
    Die Frauen, immer noch erschrocken von der überfallartigen Schnellbremsung Karls des Dicken, nun zusätzlich verblüfft durch diese unerwartete und ungewöhnliche Frage, sagten einige Sekunden kein Wort. Dann aber hatte sich die eine gefaßt. Sie trat einen Schritt auf Karl zu, funkelte ihn an und sagte: „Ob ich schon mal was Gutes getan habe, willst du wissen? Ja, das hab ich, letzte Woche erst! Da hab ich einem Jungen, der genauso dösig fragte wie du, ein paar hinter die Löffel gegeben!“
    Egon grinste schadenfroh. Karl aber versuchte noch etwas zu retten.
    „Sie mißverstehen mich“, sagte er. „Ich frage nicht aus Neugier, sondern um das in die Zeitung zu bringen. Wir drei sind
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher