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Kapitalismus Forever

Kapitalismus Forever

Titel: Kapitalismus Forever
Autoren: W Pohrt
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die Welt beherrscht. Damit ist es aus.
    Heute könnte Europa keine »Weltkriege« mehr führen, weil die Welt viel größer geworden ist und Europa darin die Rolle eines Altenheims spielt. Es wurde auch wirklich Zeit. Seit 2000 Jahren dasselbe Stück auf der gleichen Bühne, irgendwann ist es genug.

Digitalisierung der Steinzeit
    Aber an den Spielregeln hat sich nichts geändert. Überhaupt ist alles wie immer. Die gleichen Sorgen wie in der Steinzeit: Wo kriege ich mein Futter her, bzw. das Geld fürs Futter. Wenn man doch wenigstens ein Fell hätte, dann müsste man im Winter nicht dauernd an die Heizkostenrechnung denken. Aber die Menschen haben es sich abzivilisiert, leider. Und das naturverbundene Leben ist ein Spaß für Millionäre. Schon wenn man hier aufs Land zieht, braucht man ein Auto. Ich wohne also in der Großstadt und vertrödele die meiste Zeit am PC. Es gibt keinen leistungsfähigeren Zeitvernichter.
    Wieder ein Beispiel dafür, wie das System sich selbst stabilisiert und jeder Veränderung trotzt. Entsteht durch den technischen Fortschritt mehr freie Zeit, wird sie sogleich von anderer Technik wieder aufgefressen, damit der Hamster immer auf dem Laufrad bleibt.
    Aber manchmal wird man doch schlauer. Als wir unsere Flugblätter noch auf Wachsmatrizen tippten, um 1966 herum, und die Kurbel am Umdrucker drehten – Xerokopien waren damals sündhaft teuer, die haben wir nur heimlich und kostenlos beim Jobben im Büro gemacht –, damals also haben wir geglaubt, wenn wir die technischen Mittel besäßen, die wir heute besitzen, wäre die Revolution fast ein Kinderspiel. Und unsere Misserfolge haben wir darauf zurückgeführt, dass nur Springer diese technischen Mittel hatte, wir aber nicht.
    Wir dachten, wir hätten der Welt unendlich viel zu sagen, wenn wir uns nur Gehör verschaffen könnten, und die Welt würde mit gespitzten Ohren lauschen. Wir wollten den Arbeitern zum Beispiel endlich einmal sagen, dass sie ausgebeutet werden und der Chef viel besser lebt als sie. Heute können wir uns Gehör verschaffen, heute haben wir die Mittel, jeder kann eine Website aufmachen oder Blogger werden, und wir stellen fest: Es fällt uns leider doch nicht so viel ein, wie wir dachten. Und vor allem wenig, was den Rest der Welt interessiert. Dass sie ausgebeutet werden und dass der Chef besser lebt als sie selbst – das war den Arbeitern leider schon bekannt gewesen. Es fällt ja auch schwer, das zu übersehen, wenn man Tag für Tag an der Maschine steht.
    Unser Rechenfehler war die Annahme gewesen, die Arbeiter seien so blöde, wie wir Studenten es waren, bevor uns die Erleuchtung mit der Geschichte von der Ausbeutung kam. Und nun stellte sich heraus: So dumm, dass sogar wir ihm noch etwas hätten beibringen können, war leider keiner. Pech gehabt. Typisches Lehrerschicksal.
    Das ist der Unterschied zu früher: Wir sind um eine Illusion oder eine faule Ausrede ärmer.
    Manche Leute reagieren darauf mit großer Verbitterung. Sie hassen den PC, ohne darauf verzichten zu wollen, sie stellen sich beim Umgang mit dem Gerät extrem dämlich an, sie beklagen irgendeinen Kulturverfall, welcher von der Digitalisierung verursacht worden sei und haben selbst außer der Kultur des Unkens nichts zu bieten, sie fürchten den totalen Überwachungsstaat mit allerschlimmsten Konsequenzen, gerade so, als hätten die Deutschen nicht durch die Tat bewiesen, dass man für die allerschlimmsten Verbrechen keine Rechner braucht, sondern aufmerksame Volksgenossen und Zyklon B.
    Ist die Digitalisierung ein Fortschritt? Auch nicht. Sie bestätigt vielmehr, dass technische Neuerungen, so spektakulär sie sein mögen, eine Gesellschaft und das Leben der Menschen nicht wirklich verändern. Man überschätzt die Technik, sie hat das Leben nicht verändert, das Leben ist nach wie vor Selbsterhaltung, Kampf ums Dasein unten in der Hierarchie, Kampf um mehr von irgendwas weiter oben. Ob ich das mit Zettelkasten oder mit Access mache, mit dem Füllfederhalter oder MS Word, ist letzten Endes ganz wurst.
    Das Problem ist eben nicht der Fortschritt, wie Leute unterstellen, wenn sie meinen, man müsse irgendwas »Altes« bewahren. Das Problem ist vielmehr, dass seit der Steinzeit kein Fortschritt stattgefunden hat. Wir leben noch immer wie die ersten Menschen, nur tun wir das halt mit Handy, Internet, TV und PC. Im Sinne von Marx ist das alles immer noch Vorgeschichte. Die Arbeit ist heute körperlich leichter geworden. Dafür muss der Angestellte
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