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Kannst du mir verzeihen

Kannst du mir verzeihen

Titel: Kannst du mir verzeihen
Autoren: Sarah Harvey
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zu Tränen gerührt. Leider hatte sie aber auch eine große Schwäche für völlig unmelodische Klavierkonzerte vor großem Saal, bei denen sie fast schon gewaltsam jede Menge unsynkopierte Akkorde anschlug, die die Wellen und den Wind der Küste von Cornwall darstellen sollten. Ihr machte es nichts aus, dass ihre Musik verrissen wurde. Einer ihrer Lieblingssprüche in diesem Zusammenhang war: »Die wenigsten wirklich bedeutenden Künstler wurden zu Lebzeiten als solche erkannt.«
    Für gewöhnlich kam Edith tagsüber bei Hanny vorbei, weil sie eine Runde quatschen wollte. Und tatsächlich quatschte sie dann auch eine Runde: Ihr Redeanteil lag bei hundert Prozent. Hanny machte das nichts aus, denn sie war eine sehr gute Zuhörerin.
    Doch für jemanden, der so egozentrisch war, hatte Edith auch eine ganz erstaunliche Intuition, weshalb sie heute nicht bei ihr vorbeischaute, um über sich selbst zu reden, sondern um herauszufinden, was bei ihrer Freundin eigentlich los war.
    Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, sagte sie nach der Begrüßung erst einmal gar nichts. Sie zog sich die schneebedeckten Winterstiefel aus, spreizte und streckte die langen Zehen in ihren gestreiften Wollsocken und stellte ihre Antennen auf. Da lag Störung in der Luft. Und zwar nicht zu knapp.
    Irgendetwas war vollkommen anders als sonst.
    Sie lehnte sich gegen die Arbeitsfläche und wartete, bis Hanny ihr einen Kaffee gemacht hatte. Dabei bemerkte sie, dass die feinen, schlanken, sonst so ruhigen Künstlerhände der Freundin zitterten.
    Als Hanny sich an den Küchentisch setzte, schnappte Edith sich den gegenüberliegenden Stuhl und setzte sich so, wie sie es immer tat: Sie drehte den Stuhl mit der Lehne nach vorne und platzierte sich mit gespreizten Beinen darauf.
    Dann sah sie Hanny ernst an und sagte in dem intensiven Bariton, den der Bademeister am Strand gut als Nebelhorn einsetzen könnte:
    Â»Schieß los.«
    Â»Wie bitte?«
    Â»Was hat er getan? Nun sag schon. Er hat doch irgendwas ausgefressen.«
    Es dauerte noch eine Weile, bis Hanny ihr in die Augen sehen konnte. Als es ihr schließlich gelang, sagte sie: »Ist das so deutlich?«
    Edith legte den Kopf auf die Seite und sah ihre Freundin aus kleinen, wachsamen Augen an wie ein Vogel, der aufmerkte.
    Â»Für wie blöd hältst du mich, Hannelore?« Edith war der einzige Mensch, der hin und wieder Hannys vollen Namen aussprach.
    Â»Natürlich halte ich dich nicht für blöd«, entgegnete Hanny pflichtschuldigst.
    Â»Dann erzähl mir jetzt, was passiert ist.«
    Hanny blinzelte, dann kam sie direkt zur Sache.
    Â»Er ist weg.«
    Sollte Edith überrascht gewesen sein, so verstand sie gut, das zu verbergen.
    Â»Er ist weg. Aus freien Stücken oder weil du ihn darum gebeten hast?«
    Â»Letzteres.« Und dann musste Hanny zu ihrer eigenen Überraschung lächeln. »Das heißt, ich habe ihn eigentlich nicht darum gebeten ... Ich habe ihn rausgeschmissen ... Er hatte da gar nichts zu melden.«
    Â»Ach?«
    Â»Ich habe alle seine Sachen aus dem Schlafzimmerfenster in den Vorgarten geworfen ...«
    Dieses Mal war Edith auf jeden Fall überrascht. Erstaunt öffnete sich ihr Mund.
    Â»Du? Im Ernst?«
    Die wohlerzogene, besonnene, Jedes-Problem-kann-gelöst-werden-wenn-man-nur-vernünftig-miteinander-redet-Hanny hatte sämtliche Habseligkeiten ihres geliebten Bastian aus dem Fenster geworfen?
    Hanny nickte.
    Â»Eine seiner Unterhosen blieb zunächst im Apfelbaum hängen, wie eine Flagge auf Halbmast.«
    Jetzt musste Hanny lachen, doch gleich darauf war sie den Tränen nahe, aber nur kurz, weil Edith über den Tisch hinweg ihre Hände nahm. Edith fasste normalerweise nie jemanden an, und der Schreck darüber, dass sie es nun tat, reichte aus, um die Tränen zu stoppen.
    Â»Und was hat der Gute gemacht, um dich so auf die Palme zu bringen?«, hakte Edith vorsichtig nach.
    Hanny schüttelte den Kopf und schwieg.
    Â»Ist schon gut. Du musst nichts sagen. Ich kann es mir denken.« Missbilligend schürzte Edith die Lippen.
    Edith ließ sich zu ihrem üblichen Vortrag darüber hinreißen, wie die Menschen nur so blöd sein konnten, zu glauben, dass Zweierbeziehungen wirklich auf Dauer funktionieren könnten.
    Â»Das willst du jetzt wahrscheinlich überhaupt nicht hören, aber ich glaube, dass es das Beste für dich
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