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Kannst du mir verzeihen

Kannst du mir verzeihen

Titel: Kannst du mir verzeihen
Autoren: Sarah Harvey
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schnupperte daran. Fehlte nur noch, dass sie mit einem Stöckchen daran herumstocherte, um zu sehen, ob es vielleicht explodierte. Dann nahm sie es in die Hand und schüttelte es ein wenig.
    Es gluckerte.
    Eine Flüssigkeit?
    Alkohol?
    Hanny hatte seit fast vier Wochen keinen angerührt.
    Sie trank ohnehin nicht viel. Sie vertrug auch kaum etwas, musste nur an einem Glas Weißwein riechen und war schon reichlich beschwipst. Also würde sie auch jetzt nicht mit dem Trinken anfangen, das wäre wirklich vollkommen idiotisch.
    Aber in dem Geschenk war kein Alkohol, jedenfalls kein trinkbarer: Es war ein kleiner Flakon von Coco Chanel.
    Parfum?
    Wieso schenkte er ihr denn bitte Parfum, sie legte doch nie welches auf? Und er wusste das, es hatte ihm sogar immer gefallen. Er fand, sie roch von Natur aus zum Anbeißen lecker und brauchte keine künstlichen Aromastoffe. Was wollte er ihr mit dem Parfum sagen? Dass er sie nicht mehr riechen konnte? Dass er ihren Eigengeruch unangenehm fand?
    Sie wollte dem Impuls nachgeben, das Fläschchen genau wie die Blumen wegzuwerfen, aber dann riss sie sich zusammen.
    Hanny konnte Verschwendung nicht ausstehen. Die Blumen wären ohnehin schnell verwelkt gewesen, aber das kostbare Parfüm konnte sie doch nicht einfach wegwerfen. Sie würde es Edith schenken, wenn sie von ihrer Deutschlandtournee zurück war. Edith, ihre treue Freundin, die dreißig Jahre älter war und mit der sie trotz aller Unterschiede in ihrem Charakter so vieles verband. Wie sehr sie sie jetzt vermisste. Sie wohnte in der Nähe in einem alten, früher zu einer Kupfermine gehörigen Maschinenhaus mit Blick aufs Meer. Gewöhnlich roch sie nach Mottenkugeln und Mentholzigaretten, da wäre Coco Chanel schon eine deutliche Verbesserung.
    Hanny stellte die Schachtel zurück in den Küchenschrank, hinter eine Reihe Dosen mit Baked Beans. Dann bekam sie einen Putzflash. Sie wischte den vernachlässigten Küchenboden und leerte den müffelnden Abfalleimer. Der war so vollgestopft, dass sie kaum den schwarzen Müllbeutel aus dem Eimer herausbekam und Schwierigkeiten hatte, ihn zuzubinden, ohne Teile des Inhalts auf den gerade gewischten Fußboden zu verteilen.
    Und in dem Moment sah sie es: An dem Geschenkpapier des Parfums klebte eine weitere Karte. Darauf stand klar und deutlich eine Drei geschrieben.
    Sie runzelte die Stirn. Dann wühlte sie ein bisschen tiefer in der Tüte und zog das Geschenkpapier von den Pralinen hervor. Auch hier waren keine gefühlsduseligen oder sonstigen Worte zu lesen, sondern die schlichte Zahl Zwei.
    Sie musste noch tiefer in der Mülltüte wühlen, bis sie die inzwischen etwas aufgeweichte Karte fand, die mit den Blumen gekommen war. Und auch auf ihr stand nichts weiter als eine Zahl, diesmal die Eins. Ein bisschen verwischt von Kaffeesatz, aber immer noch klar zu erkennen.
    Hanny legte die Karten nebeneinander auf den Tisch.
    Was sollte das denn werden? Was für ein Spiel spielte er?
    Ach, sie wollte am liebsten gar nicht darüber nachdenken. Sie wollte am liebsten überhaupt nicht an Bastian denken.
    Noch während sie krampfhaft versuchte, nicht an Bastian zu denken, klingelte es an der Tür. Wer mochte das sein? Schon wieder er?
    Zögernd schlich Hanny über den Flur und lugte vorsichtig durchs Fenster seitlich der Eingangstüre. Vor Überraschung blieb ihr die Spucke weg: Edith! Nach einem kurzen Moment des Schocks riss Hanny die Tür auf und fiel ihrer Freundin in die Arme.
    Das musste Telepathie gewesen sein.
    Â»Was machst du denn schon hier? Was ist aus deiner Tour in Deutschland geworden? Wie schön, dich zu sehen!«, rief sie überschäumend vor Glück über die willkommene Ablenkung.
    Edith war nun mal unberechenbar. Mehr als einmal war es schon vorgekommen, dass sie eine Tour mittendrin abbrach oder dass Edith nicht auf die Bühne ging, obwohl ein Publikum auf sie wartete. Sie war launisch und konnte sehr stur sein. Aber ihr Humor war grandios, und Hanny liebte Edith für ihre Schrulligkeit.
    Edith war Pianistin, Musikerin und Komponistin. Einige ihrer Stücke waren ziemlich bekannt, aber das lag vor allem daran, dass so ziemlich alles, was sie schrieb, gnadenlos von den Kritikern verrissen wurde und es diese Verrisse in der Regel auf die Titelseiten schafften. Als sie Hanny das erste Mal etwas vorspielte, hatte Edith sie mit der Virtuosität und Schönheit ihres Spiels
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