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Kannst du mir verzeihen

Kannst du mir verzeihen

Titel: Kannst du mir verzeihen
Autoren: Sarah Harvey
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öffnete, musste sie feststellen, dass er die Schokolade dahinter bereits gegessen hatte.
    Aber am Weihnachtsmorgen, als sie die wenigen Geschenke, die sie von ihm bekommen hatte, auspackte, war eben dieser Adventskalender darunter gewesen. Bastian hatte die Leerräume hinter den Türchen mit ihren geliebten Schokoparanüssen gefüllt. Hatte sie mit chirurgischer Präzision so zurechtgeschnitten, dass sie hineinpassten.
    Seither hatte er ihr jedes Jahr zum ersten Dezember einen Adventskalender geschenkt, jedes Jahr größer, schöner, toller.
    Und genau das tat er jetzt wieder.
    Er schenkte ihr einen Adventskalender.

An diesem Morgen wartete sie bereits auf ihn. Hinter dem Vorhang versteckt, sah sie nach draußen, seltsam entschlossen, sich heute seinem Anblick auszusetzen.
    Auch wenn sie das eigentlich gar nicht wollte. Und es gleichzeitig mehr wollte als alles andere. Und es doch wieder nicht wollte. Die schwankenden Gefühle verursachten ihr Übelkeit – ja, ihr war richtig schlecht.
    Jetzt würde er bestimmt gleich kommen. Ihre Füße waren Eisblöcke, und ihr Herz raste mit einer gefühlten Frequenz von hundert Schlägen pro Sekunde.
    Dann hörte sie ein Auto in der Auffahrt. Es hielt, die Autotür wurde geöffnet und geschlossen, und Sekunden später tauchte er neben der Hecke auf.
    Er machte ein so geheimnisvolles Gesicht, dass sie unter normalen Umständen darüber hätte lachen müssen. Doch sie war wie versteinert und unfähig, sich zu rühren.
    Er ging den kleinen Weg auf das Haus zu, stellte das Päckchen vor der Tür ab, klopfte an und lief dann, so schnell er konnte, weg und verschwand hinter der Hecke aus Hannys Blickfeld.
    Wenige Augenblicke später sah er hoffnungsvoll über die Hecke. Er wartete. Und wartete. Dann sank er enttäuscht in sich zusammen.
    Hanny hörte, wie er verschwand.
    Autotür auf, Autotür zu, Motor an, Gas geben, Reifen rollen.
    Weg.
    Hanny wandte den Blick vom Fenster ab, lehnte sich gegen die Wand und ließ die Luft aus den Lungen entweichen.
    Sie schloss die Augen. Gerade hatte sie ihn zum ersten Mal seit jenem Abend gesehen. Natürlich hatte sie vorher überlegt, wie es ihr damit wohl gehen würde, aber auf das, was da jetzt mit ihr passierte, war sie nicht vorbereitet gewesen.
    Ihr Magen fühlte sich an wie ein voll besetzter Aufzug, dessen Seile reißen und dessen Passagiere panisch kreischen, während er nach unten rast.
    Mit dem Rücken an der Wand rutschte sie zu Boden. Er hatte schmaler ausgesehen, blasser, mit dunklen Ringen unter den Augen und einem verkniffenen Zug um den schönen Mund. Beim Friseur war er offenbar auch nicht gewesen in der Zwischenzeit. All das hatte sie in den wenigen Sekunden wahrgenommen, und das, obwohl es draußen noch nicht einmal richtig hell war.
    Nun war sie völlig alle, fühlte sich schlaff wie ein Luftballon mehrere Tage nach einer Party. Sie konnte unmöglich hinuntergehen, um nachzusehen, was er ihr heute gebracht hatte.
    Lieber wollte sie ein bisschen arbeiten, um die Sorgen zu vergessen. Mit Aquarellfarben, Gouache und Kreide konnte sie sich noch immer Erleichterung verschaffen.
    Im Schlafanzug ging Hanny hinunter in ihr Atelier. Außer Hannys Staffelei und dem Hocker, auf den sie sich jetzt setzte, standen keine Möbel in dem Raum. Bis auf die obligatorischen Regale natürlich, die im ganzen Haus zu finden waren und mit Büchern, CDs, Arbeitsmaterial und mit Kunstobjekten, Gemälden oder Drucken ihrer Lieblingskünstler gefüllt waren.
    Ein Kritiker hatte einmal geschrieben, Hannys Illustrationen vereinten den Charme eines Atwell, die Eleganz eines Lepape sowie die Prägnanz eines Brâncusi und würden durch die Farben Kandinskys zum Leben erweckt. Hanny war ein bescheidener Mensch und hoffte nur, dass all das heißen sollte, dass sie gute Arbeit leistete.
    Jai wusste, dass man sie für brillant hielt. Sie könnte doppelt so viele, nein, drei oder gar viermal so viele Aufträge haben, wenn sie wollte. Die Hingabe, mit der sie sich jedem Projekt widmete, die Sorgfalt bis ins kleinste Detail, die Qualität der abgelieferten Arbeit und ihre unkomplizierte Art machten sie für Autoren und Verleger gleichermaßen zu einer beliebten und nachgefragten Illustratorin. Gleichzeitig sorgte sie selbst dafür, ihren eigenen Markt nicht zu übersättigen, indem sie nie mehr als zwei Buchprojekte pro
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