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Kannst du mir verzeihen

Kannst du mir verzeihen

Titel: Kannst du mir verzeihen
Autoren: Sarah Harvey
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angefangen, im angeblich wärmsten Landesteil Englands jeden Winter zu schneien.
    Im ersten Jahr war es einfach nur klasse gewesen.
    Bastian liebte Schnee.
    Er hatte Hanny geweckt, bevor es hell war, und sie mit nach draußen geschleppt, um einen gigantischen Schneemann zu bauen. Den ganzen Vormittag waren sie auf zu Rodelschlitten umfunktionierten Tabletts die Hügel hinuntergeschlittert, auf der Hälfte der Strecke stecken geblieben und den Rest lachend heruntergekullert.
    Am Abend war alles wieder weg gewesen.
    Bastian hatte Glühwein gemacht. Mit dampfenden Bechern in den behandschuhten Händen standen sie in der Abendsonne auf der Terrasse und sahen dabei zu, wie der mühsam geformte Schneemann Pfützen bildete und schmolz.
    Und als so gut wie nichts mehr von ihm übrig war, zog Bastian sie an sich, schob seine immer noch behandschuhte Hand unter ihre Kleidung und küsste sie. Hanny war dahingeschmolzen wie der Schneemann, wobei der zu allem Überfluss von Sid angepinkelt wurde, was den Schmelzvorgang rapide beschleunigte.
    Sid.
    Ach, Sid.
    Auch Sid liebte den Schnee, er tanzte immer mit den Schneeflocken um die Wette. Und wenn ein Hund tanzte, dann war er doch restlos glücklich.
    Oder? Na ja, vielleicht hatte er auch nur verdammt kalte Pfoten.
    Da fiel Hanny auf, dass ihre nackten Füße schon fast genauso blau waren wie der Himmel. Ihre Zehen glichen gefrorenen Garnelen. Schnell schnappte sie sich das Geschenk und ging ins Haus.
    Dieses Mal öffnete sie es gleich. Und es handelte sich keineswegs um Schmuck. Sondern um eine kleine, durchsichtige Plastiktüte voller Radiergummis ...

Hanny wachte schon früh auf. Die Nacht war eine Tortur gewesen, sie hatte kaum Schlaf gefunden und war vollkommen durchgefroren, denn schließlich war sie es gewöhnt, ihren Rücken an einen warmen Körper zu schmiegen. Jetzt war das Bett leer und irgendwie kalt, und das, obwohl sie mitten in dieser nicht enden wollenden Nacht aufgestanden war und sich so viel angezogen hatte, wie sie nur konnte.
    Zuerst würde sie diese klamme Kälte aus dem Haus vertreiben und eine behagliche Wärme schaffen, so viel war klar. Aber die Brennholzkörbe waren leer, und Hanny wusste, dass es um den sonst immer säuberlich hochgestapelten Holzvorrat unter der Plane hinter der Garage genauso schlecht bestellt war. Also würde sie rausgehen und Holz hacken, auch wenn das sonst immer Bastians Aufgabe gewesen war. Aber meine Güte, was sollte schon so schwer daran sein, eine Axt zu schwingen, das würde ihr sicher guttun.
    Ausholen, draufhauen, entspannen.
    Wenn sie sich dazu noch einen bestimmten Kopf auf dem Hackklotz vorstellte, würde sie die Scheite sicher in Windeseile spalten und gleichzeitig eine gewisse Genugtuung empfinden.
    Klang doch eigentlich nach einem guten Plan. Beherzt zog sie sich Stiefel und Handschuhe an und passte – unförmig, wie sie mit ihren Kleiderschichten war – sogar in ihren Mantel.
    Als sie die Tür öffnete, um sich hinaus ins Freie zu schieben, konnte sie natürlich nicht anders, als unwillkürlich nach einem kleinen Päckchen Ausschau zu halten, das ein gewisser Bastian Alexander möglicherweise dort abgelegt hatte.
    Aber da war nichts.
    Keine glitzernde Überraschung. Seltsam. Das Ganze lief erst seit fünf Tagen, und trotzdem hatte sie sich schon an die kleinen Gaben gewöhnt.
    Hatte sie erwartet.
    Erwartungen waren gefährlich.
    Schnell schüttelte Hanny diesen Gedanken ab, suchte und fand die Axt, nahm sie zur Hand und legte los. Sie unternahm so viele Schwingversuche, dass ihr warm genug wurde, um eine Schicht auszuziehen, doch selbst jetzt, da sie mehr Bewegungsfreiheit hatte, wollte es nicht recht klappen. Offenbar reichten ein rechter Arm und der gute Wille allein nicht aus.
    Es dauerte eine Weile, bis sie bemerkte, dass ihre ziemlich peinlichen Holzhackversuche beobachtet wurden: Die ebenfalls gründlich eingepackte Edith lehnte an der Garagenwand und sah Hanny amüsiert zu.
    Â»Was machst du da?«
    Â»Ich schneid mir die Fingernägel!«, gab Hanny pampig zurück, ohne aufzusehen.
    Edith grinste. Sie mochte es, wenn Hanny bissig wurde.
    Â»Hast du eigentlich einen Waffenschein?«
    Â»Das ist keine Waffe, das ist ein Gebrauchsgegenstand.«
    Â»Ja, solange es im Schuppen steht. Aber jetzt ist es in deinen Händen ... Da würde ich es auf jeden Fall als Waffe bezeichnen.
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