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Kanada

Kanada

Titel: Kanada
Autoren: R Ford
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besten geduldig versuchen, zusammen das Beste draus zu machen.
    Doch seit einiger Zeit legte Berner eben eine strengere Art an den Tag, sprach mit niemandem sehr viel und war oft spöttisch, sogar mir gegenüber. Ich entdeckte die ernsten Züge meiner Mutter in ihrem flachen, sommersprossigen Gesicht. Berner lächelte kein bisschen mehr als meine Mutter, und einmal hörte ich, wie diese zu ihr sagte: »Werde bloß kein großes schlaksiges Mädchen, das immer unzufrieden guckt.« Aber ich glaube, Berner war egal, was für ein Mädchen aus ihr werden würde. Sie schien völlig im Augenblick zu leben, und dass sie den gegenwärtigen Stand der Dinge nicht mochte, wurde vom Nachdenken über ihre Zukunft kein bisschen verdrängt. Sie war kräftiger als ich und griff manchmal mit ihren großen Händen nach meinem Handgelenk, um die Haut schnell hin und her zu reiben, das nannten wir »Brennnesseln machen«. Währenddessen erklärte sie mir, dass ich, weil sie älter sei als ich, tun müsse, was sie sagte – was ich sowieso fast immer tat. Ich war ganz anders als sie. Ich grübelte und malte mir aus, was später geschehen könnte – auf der Highschool, bei Schachsiegen, auf dem College. Man wäre vielleicht nicht darauf gekommen, aber Berner war in ihrer Skepsis wahrscheinlich realistischer als ich. Angesichts ihres weiteren Lebens wäre sie vielleicht besser in Great Falls geblieben, hätte einen gutherzigen Farmer geheiratet und viele Kinder bekommen, denen sie alles Mögliche beigebracht hätte, die sie glücklich gemacht und das Sauertöpfische von ihrem jungen Gesicht gefegt hätten – damit wollte sie sich doch nur gegen ihre Naivität schützen. Sie und meine Mutter pflegten eine wortlose Nähe zueinander, die nichts mit mir zu tun hatte. Ich nahm das hin und war froh darüber, für Berner. Ich hatte das Gefühl, sie brauchte es mehr als ich, ich hielt mich damals nämlich für ausgeglichener. Mein Vater und ich waren uns angeblich nah – das wurde von Jungen auch erwartet, selbst in unserer Familie. Dabei konnte man ihm gar nicht besonders nah sein (er war die meiste Zeit nicht da). Und in Wirklichkeit waren wir es auch nie, aber ich liebte ihn so, als wären wir es.
    Wahrscheinlich könnte man unsere kleine Familie im Rückblick als dem Untergang geweiht betrachten, wie sie einfach nur darauf wartete, in den brodelnden Wellen zu versinken, für Verderben und Scheitern vorherbestimmt. Aber ich kann uns nicht wahrheitsgemäß so schildern und ebenso wenig die Zeit als schlimm oder unglücklich, sosehr sie aus dem gewöhnlichen Rahmen fiel. Ich sehe meinen Vater vor mir, auf dem kleinen Rasen unseres gemieteten Hauses mit seinem ausgeblichenen senfgelben Anstrich und den weißen Fensterläden, meine kleine Mutter, die in ihren weiten Segeltuchshorts auf den Verandastufen sitzt und ihre Knie umarmt, meinen Vater in einer flotten hellbraunen Hose mit gelbgerautetem Schlangengürtel und einem himmelblauen Hemd und neuen schwarzen Cowboystiefeln, die er sich nach seiner Entlassung aus der Air Force gekauft hatte. Er ist groß und lächelt und wirkt vollkommen heiter (wenn auch mit Geheimnissen). Meine Mutter hat ihr dickes Haar achtlos mit einem Kopftuch zu einem Büschel zurückgebunden. Sie beobachtet ihn beim ungeschickten Aufbau eines Badminton-Netzes im Garten neben unserem Haus. Der ’55er Chevrolet steht am Bordstein im schlanken Ulmenschatten unter dem weichen Himmel Montanas. Die kleinen Augen meiner Mutter blicken kritisch, ihre Züge ziehen sich hinter ihrer Brille an der Nasenwurzel zusammen. Meine Schwester und ich helfen dabei, das Netz zu entwirren – denn das Ganze wird für uns aufgebaut. Plötzlich lächelt meine Mutter und hebt das Kinn, auf einen Satz von ihm hin. »In meiner Nähe ist nichts idiotensicher, Neevy«, oder: »Besonders gut machen wir das hier nicht gerade«, oder: »Bomben kann ich abwerfen, aber Netze aufbauen?« »Das wissen wir«, sagt sie. Dann lachen sie beide. Er hatte seinen ausgeprägten Humor und sie ihren, auch wenn ihr selten danach war, ihn einzusetzen. Das war typisch für sie und für uns alle, damals. In jenem Sommer ging mein Vater mal hier, mal da arbeiten. Ich las mein Schachbuch und auch eins über Bienenzucht, was mein zweites Projekt für die Highschool sein sollte, denn ich glaubte, niemand sonst würde etwas davon wissen. Ich erwartete, damit an einer ländlichen Schule eher auf Interesse zu stoßen, wo es die landwirtschaftliche Jugendorganisation Future
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