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Kampf um Strom: Mythen, Macht und Monopole (German Edition)

Kampf um Strom: Mythen, Macht und Monopole (German Edition)

Titel: Kampf um Strom: Mythen, Macht und Monopole (German Edition)
Autoren: Claudia Kemfert
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schrumpft, die bewusstlos am Tropf der Steckdose hängen, im Vertrauen auf Energieversorger, die dafür zuständig sind, dass der Quell nicht versiegt. Gerade auf dem Land haben die Menschen begonnen, sich unabhängig zu machen, mit Solarzellen auf dem eigenen Dach oder auch durch den Zusammenschluss in kleinen Betreibergemeinschaften, die an vielen Orten Deutschlands eine lokale, grüne Energieversorgung aufbauen. – Auf einmal werden Energie und Strom zum Thema für Gemeinschaftsprojekte. So auch, wenn Eltern einer Berliner Waldorfschule gemeinsam in eine Solaranlage auf dem Dach investieren und die Schule sich auf diese Weise selbst versorgt. Und der Stromverbrauch wird auf einer Anzeigetafel vor dem Schulgebäude öffentlich gemacht – auch dies ein Zeichen für den Bewusstseinswandel. Wer hätte sich vor 30 Jahren vorstellen können, dass sich einmal jemand für den Stromverbrauch seiner Schule interessieren würde?
    Das Bewusstsein für die Themen Energie und Strom setzte Ende der 1960er und in den frühen 1970er Jahren ein: Allmählich wurde klar, dass die großen Leuchtreklamen, die das Versprechen unbegrenzten Konsums in staunende Kinderaugen zauberten, eine hässliche Kehrseite haben: Stromtrassen verschandeln unsere Landschaft, Kohlekraftwerke erweisen sich als Dreckschleudern, und unser Energieverbrauch wird zu einer Belastung für Umwelt und Klima. Zur selben Zeit machte sich die Erkenntnis breit, dass die Ressourcen fossiler Brennstoffe endlich sind. Es schien keinen ernst zu nehmenden Ausweg aus dem Dilemma zu geben, dass wir durch unsere Lebensweise unsere Lebensgrundlage zerstören – sieht man einmal von der utopischen Forderung »Zurück zur Natur« ab, für die sich wenige besonders Betroffene starkmachten. Doch nun zeigt sich: Es ist möglich, Energieverbrauch und Umweltschutz besser in Einklang zu bringen. Nicht vollständig, aber in einem Maße, das gegenüber den herkömmlichen Umweltbelastungen und -gefahren eine fundamentale Verbesserung bedeutet.
    Die neuen Technologien der Ökostromerzeugung bedeuten mehr als nur einen Austausch der Quellen. Anders als bei den großen herkömmlichen Kraftwerken, die riesige Mengen Strom an einem Ort produzieren und ihn von dort aus verteilen, ist die Erzeugung von grünem Strom vergleichsweise einfach. Wind, Sonne und Biomasse stehen nahezu überall zur Verfügung. Mit ihnen lässt sich unsere Stromversorgung dezentralisieren. Mitten in einer globalisierten Welt, in der nahezu alle von allen abhängig sind, tut sich damit plötzlich die Möglichkeit einer völligen Selbstversorgung in Bezug auf den Strom auf.
    Diese Chance stellt unsere bisherige Infrastruktur vollständig auf den Kopf: Private Stromerzeuger oder Gemeinschaften kleinerer oder mittlerer Größe machen sich nämlich nicht nur von der zentralen Energieversorgung unabhängig, sondern sie werden selbst zu Stromanbietern. Die Berliner Waldorfschule zum Beispiel teilt auf ihrer digitalen Anzeigetafel auch mit, wie viel überschüssigen Strom sie in das städtische Netz abgibt. Aus einer zentralistisch organisierten Infrastruktur mit Kraftwerken als Knotenpunkten entsteht derzeit ein Netzwerk, das um ein Vielfaches kleingliedriger strukturiert ist. Und dies ist erst der Anfang. Zu den vielversprechenden Technologien der Zukunft gehören Elektrofahrzeuge, die nicht nur Energie verbrauchen, sondern diese auch speichern können. Wer seine Fahrt beendet, soll die überschüssig geladene Energie wieder in das Stromnetz einspeisen können. Die Agentur für Erneuerbare Energien rechnet auf ihrer Website vor, dass bereits 100 000 Elektroautos mit solchen Batteriespeichern denselben Beitrag zur Stromproduktion liefern können wie die Wasserturbinen des Pumpspeicherkraftwerkes Goldisthal in Thüringen – was mit rund einem Gigawatt der Leistung eines Atomreaktors entspricht.
    Eine auf diese Weise immer dezentraler werdende Energieversorgung, bei der jeder einzelne Verbraucher nicht nur Strom abnimmt, sondern auch Strom in das Netz zurückleitet, stellt eine gewaltige logistische Herausforderung dar. Die Energieversorger und Netzbetreiber der Zukunft werden all diese Strombewegungen so koordinieren müssen, dass eine stabile, kontinuierliche Stromversorgung gewährleistet werden kann. Und es handelt sich hier nicht um eine Zukunftsvision: Große Teile des dezentralen Netzes sind längst installiert, und es wächst weiter – mit jedem einzelnen Verbraucher, der sich entscheidet, in private oder kleine
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