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Kampf um Strom: Mythen, Macht und Monopole (German Edition)

Kampf um Strom: Mythen, Macht und Monopole (German Edition)

Titel: Kampf um Strom: Mythen, Macht und Monopole (German Edition)
Autoren: Claudia Kemfert
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Energiewende stellen sich auch auf europäischer Ebene neue Herausforderungen: Bei der Erneuerung des Stromnetzes müssen auch die Verknüpfungen zu den Nachbarländern bedacht werden. Neue Energieformen gehen – bedingt durch die geografischen Gegebenheiten – auch mit neuen Anforderungen einher: Wo es viel Sonne gibt, lohnen sich Solaranlagen, wo es viel Wind gibt, Windräder, und wo es starke Gefälle gibt, können Pumpspeicherkraftwerke gebaut werden. All dies macht eine noch engere Koordinierung der Stromversorgung zwischen den europäischen Staaten sinnvoll, und auf EU -Ebene bemüht man sich auch längst um eine Synchronisierung dieser Entwicklungen. Die Ausbauziele, die Deutschland in dem 2010 verabschiedeten Konzept zur Energiewende festgeschrieben hat, gelten so im Rahmen der EU -Roadmap für alle Mitgliedsstaaten. Sicherlich entscheidet in der Übergangszeit jedes EU -Land selbst, wie es den Weg, den die Roadmap hin zu einer grünen Stromversorgung aufzeichnet, gestalten will. Manche Staaten setzen dabei auf konventionelle Energien, so dass wir durch den üblichen Handel mit den Nachbarn vorübergehend weiterhin Atom- und Kohlestrom nutzen. Doch je schneller der Umbau der Energieversorgung in Deutschland gelingt, desto einfacher wird es für andere Länder nachzuziehen.
    Deutschlands Alleingang ist sinnvoll
    Hans-Werner Sinn, der Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, fasst mit dem Titel einer von ihm 2008 verfassten Streitschrift seine Sicht der Debatte als Das grüne Paradoxon zusammen: Wenn wir uns hier von der Nutzung fossiler Brennstoffe unabhängig machen, indem wir auf erneuerbare Energien setzen, führe das dazu, dass die Besitzer der Ressourcen umso schneller versuchten, ihre Brennstoffe zu verkaufen. Auf diese Weise, so Sinn weiter, würde eine grüne Energiepolitik in Deutschland zu einer Beschleunigung des weltweiten Klimawandels beitragen. Deshalb fordert der Ökonom für den Emissionsrechtehandel und alle anderen Klimaschutzziele global gleichermaßen geltende Bedingungen. Auch er befürchtet anderenfalls die Abwanderung von Industrien. In gewisser Hinsicht hat Sinn damit sogar recht, denn einen ähnlichen Effekt erleben wir in Bezug auf unsere sozialen Standards. Man könnte es in Anlehnung an seine Kritik »das soziale Paradoxon« nennen: Die hohen sozialen Standards, die den Unternehmen in den sogenannten westlichen Demokratien beträchtliche Lohnnebenkosten verursachen, führen uns zur hässlichen Kehrseite des Kapitalismus. Wo die Regierungen ihre Arbeiter nicht durch eine entsprechende Gesetzgebung schützen, werden diese von denselben westlichen Unternehmen in Asien, Afrika oder hinter der amerikanisch-mexikanischen Grenze ausgebeutet. Die jüngsten Vorfälle um einen chinesischen Zulieferer der Firma Apple sind nur ein Beispiel für dieses Phänomen. Natürlich würden Ökonomen wie Hans-Werner Sinn sich hüten, deshalb die Abschaffung unserer sozialen Standards vorzuschlagen! Auch wenn allen klar ist, dass unsere Unternehmen dadurch immer wieder dem Druck der Billigkonkurrenz anderer Länder ausgeliefert sind: Es kann wohl kaum die Lösung des Problems sein, die in langen politischen Kämpfen erworbenen Rechte der Arbeiter wieder einzukassieren. Sinns Forderung nach einem ausschließlich globalen Handeln ist scheinheilig, weil sie eine Einigkeit aller Staaten voraussetzt, die absolut unrealistisch ist. Seine Konzepte mögen ökonomisch sinnvoll sein, doch auch Ökonomen sollten sich mit ihren Vorschlägen wenigstens annähernd im Bereich des politisch Möglichen bewegen.
    Klaus Töpfer, Volkswirt mit internationaler politischer Erfahrung, führte mir das Problem in einem Gespräch vor Augen. In Diskussionen auf internationaler Ebene erlebte er bei Beratungen zum Umwelt- und Klimaschutz immer dieselben Beteuerungen: »Ausgezeichnet! Das werden wir auf jeden Fall umsetzen.« Nach langatmigen Wiederholungen solcher Zusicherungen folgten die letzten drei Worte: »Aber nur global.« Da wusste er, die Sache hat sich erledigt.
    Je höher die politische Ebene und je mehr politische Entscheidungsträger beteiligt sind, desto unwahrscheinlicher wird die Realisierung in der Praxis. Schon auf europäischer Ebene erleben wir dies permanent, obwohl wir uns hier noch in einer mehr oder weniger homogenen Wertegemeinschaft befinden. Wie aber kann globales Handeln aussehen, wenn sich noch nicht einmal drei Staaten auf dieselbe Politik einigen können?
    Die Energiewende wird kommen.
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