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Kammerflimmern

Kammerflimmern

Titel: Kammerflimmern
Autoren: M Gibert
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kannst.«

36
    »Siegfried Patzke war ein guter Mensch, und er wird seiner Familie und allen seinen Freunden in gutem Angedenken bleiben«, hallte die blecherne Stimme des Pfarrers über den Friedhof.
    Lenz, der etwas abseits stand, betrachtete die verloren wirkende Schar der Trauernden. Allzu viele Freunde oder Bekannte hatten den Weg zur Beerdigung nicht gefunden.
    Als die Zeremonie vorüber war, ging er langsam auf Carola Patzke zu.
    »Oh je, Herr Kommissar, Sie sehen aber mitgenommen aus«, begrüßte sie ihn mit blutunterlaufenem Gesicht und betrachtete eingehend seinen Verband. Lenz verkniff es sich, sie auf ihr Äußeres anzusprechen.
    »Halb so wild, Frau Patzke. Ich wollte Ihnen noch einmal mein Beileid aussprechen und alles Gute wünschen. Wahrscheinlich wissen Sie schon, dass wir den oder besser die Mörder Ihres Mannes erwischt haben.«
    »Weiß ich. Und es is mir nur recht, dass die beiden gleich ins Gras beißen mussten. Auge um Auge, sag ich nur.«
    »Wie auch immer …« Er streckte ihr die Hand hin. »Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, lassen Sie es mich wissen. Ansonsten wünsche ich Ihnen, wie gesagt, alles Gute.«
    Sie griff seine Hand und drückte sie kräftig. Dabei huschte zum ersten Mal, seit Lenz sie kannte, der Hauch eines Lächelns über ihr Gesicht.
    »Danke für das Angebot, Herr Kriminaler, aber ich komm schon zurecht. Bin ich ja immer.«
    Ohne ein weiteres Wort ließ sie ihn stehen. Der Kommissar drehte sich um und ging zum Hauptausgang. Als er an der Straße angekommen war, bog ein Taxi um die Ecke und hielt zwei Meter links von ihm an. Die hinteren Türen gingen auf, zwei schwarz gekleidete Mädchen stiegen aus und stellten sich auf den Bürgersteig. Lenz sah in den Wagen und erkannte Hanne Frommert, die dem Fahrer Münzen in die Hand zählte.
    »Hallo, Herr Lenz«, begrüßte die Frau ihn knapp, nachdem sie aus dem Wagen gestiegen war.
    »Hallo, Frau Frommert«, antwortete er und gab dem Fahrer des Taxis ein Zeichen, dass er auf ihn warten sollte.
    Es entstand eine peinliche Pause.
    »Mein Mann wird später beerdigt«, erklärte sie dann. »Wie geht es Ihrem Auge?«
    »Danke, es kommt wieder in Ordnung. Und wie geht es Ihnen?«
    »So weit ganz gut. Wir werden aus Kassel wegziehen.«
    Der Kommissar sah sie erstaunt an.
    »Wissen Sie schon, wohin?«
    »So ganz klar ist es noch nicht. Vermutlich nach Lettland. Das gehört zur EU, und außerdem soll es dort sehr schön sein. Für unser Haus gibt es schon ein paar Interessenten, es wird also ganz schnell gehen.« Sie lächelte verlegen. »Jetzt müssen wir aber reingehen. Leben Sie wohl, Herr Lenz.«
    »Leben Sie wohl, Frau Frommert.«
    Eingerahmt von ihren Kindern, ging sie mit langsamen Schritten auf den Eingang zu. Kurz bevor sie um die Ecke bog, drehte sie noch einmal den Kopf und bedachte ihn mit einem Lächeln. Dann war sie verschwunden.
     
    Zehn Minuten später stand er vor Sergej Kowaljows kleinem Telefonladen und versuchte, durch die beschlagenen Schaufensterscheiben etwas zu erkennen. Der Russe stand wie immer mit einer Zigarette zwischen den Zähnen hinter der Theke und hielt eine Tasse Tee in der Hand. Als er den Kommissar erkannte, fing er an zu grinsen. Lenz betrat das Geschäft und ging auf den Russen zu.
    »Sergej, Sergej, was soll ich nur mit dir machen?«
    »Nichts, Herr Kommissar. So, wie Sie aussehen, können Sie höchstens Kinder in der Geisterbahn erschrecken.«
    »Du hast mich ziemlich übel auf die Rolle genommen, Sergej.«
    Kowaljow stellte den Tee ab, drückte die Zigarette aus, kam auf den Polizisten zu und sah ihn mit traurigen Augen an.
    »Wissen Sie, wie die russische Volksseele funktioniert, Herr Kommissar?«
    »Nein, Sergej.«
    »Deshalb glauben Sie auch, dass ich Sie auf die Rolle genommen habe. Das stimmt nicht. Wenn man sich ein bisschen mit der russischen Volksseele auskennt …«
    »Es ist gut, Sergej. Wahrscheinlich haben wir noch nicht im Auto gesessen, als du schon den Telefonhörer in der Hand hattest. Stimmt’s?«
    Der Russe sagte nichts.
    »Thilo hätte sterben können«, fuhr Lenz fort.
    »Das wusste ich doch nicht.«
    »Stimmt. Aber du wusstest, dass Blochin ein ganz und gar kaltblütiger Typ ist, und hast ihm trotzdem den Tipp gegeben.«
    Wieder kam keine Antwort. Der Polizist ging langsam zur Tür.
    »Sergej, du solltest unsere Beziehung für die nächste Zeit als massiv gestört betrachten«, sagte er und verließ grußlos den Laden.
    Auf dem Weg zum Taxistand am Königsplatz klingelte
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