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Kammerflimmern

Kammerflimmern

Titel: Kammerflimmern
Autoren: M Gibert
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zweiten Schuss, der von oben in seinem Schädel einschlug, hörte er nicht mehr.
     
    Goldberg drehte den Kopf nach links und sah auf die rauchende Pistole. Er war fest davon überzeugt, die beiden Schüsse hätten seinen Körper getroffen, und wartete auf den einsetzenden Schmerz. Oder den Tod. Doch es passierte nichts. Er hob den Kopf ein Stück höher und sah in das grinsende Gesicht des Mannes, der geschossen hatte.
    »Wie ich Ihnen gesagt habe, es war gar nicht so schlimm. Jetzt stehen Sie auf und schippen das Loch zu!«
    Der Jurist, der in seinem ganzen Leben noch nie mit echten Gangstern zu tun gehabt hatte, fing an zu schluchzen, schlug die Hände vors Gesicht und spürte, wie Tränenbäche durch seine Finger liefen.
    »Warum …?«, stammelte er.
    »Nicht fragen, einfach das Loch zumachen«, antwortete der Kleine fast sanftmütig, schnitt die Fessel auf und steckte den Spaten neben ihn in den lockeren Waldboden.
    Goldberg griff danach, sprang auf und begann sofort, das Loch, in dem der tote Patzke lag, mit Erde zu füllen.
    Es dauerte nicht lange, und er hatte die Arbeit zur Zufriedenheit seiner beiden Entführer erledigt.
    »Noch ein bisschen Laub über die Erde legen, bitte, dann ist es gut«, sagte der Große.
    Mit den Händen sammelte Goldberg nasses Laub auf und verteilte es.
    »Schön so. Jetzt kommen Sie bitte mit.«
    Eingerahmt von dem ungleichen Verbrecherduo, ging er etwa 200 Meter den schmalen Waldweg entlang. Es fing ganz leicht an zu schneien, und Goldberg spürte die Flocken auf seinem schütteren Haar. Dann stoppten die beiden und sahen sich um.
    »Hier ist gut«, sagte der Kleine.
    Erst jetzt bemerkte der Jurist, der sein Geld als Justiziar der IHK in Kassel verdiente, das Seil in der Hand des Großen. Ein schwarzes, langes Seil mit einem unheilvollen Knoten am Ende. Und er wusste sofort, wozu es dienen sollte.
    »Bitte …«, flehte er. »Bitte nicht …«
    Der Große warf mit geschickten Bewegungen den Knoten über einen dicken Ast und fing ihn auf der anderen Seite wieder auf. Nun hatte er beide Enden in der Hand und lächelte Goldberg an.
    »Wie ich schon gesagt habe, es ist gar nicht schlimm. Kommen Sie bitte einen Schritt näher.«
    »Nein!«, schrie Goldberg.
    »Nein, bitte nicht. Hilfe. Hilfe.«
    Es wurde langsam dunkel im Reinhardswald. Und es war so einsam an diesem kalten Dezembernachmittag, dass niemand die Schreie des armen Teufels hörte, der sich in dem Moment in die Hose pisste, als das Seil um seinen Hals gelegt wurde.
    Er wehrte sich mit allen Kräften, aber das waren nicht viele, denn Wolfgang Goldberg war unsportlich und untrainiert, ganz anders als die beiden Männer, die jetzt am anderen Ende des Seils zogen. Sie hatten muskulöse Körper und waren damit vertraut, zu verletzen und zu töten.
     
    Und so hatte sein Zappeln schon nach kurzer Zeit aufgehört, er versuchte jedoch noch länger, sich den Strick vom Hals zu ziehen. Sein Gesicht wurde blau und dick, aber das sahen die Männer unter seinen Füßen nicht, weil sie das Seil an einem anderen Baum festgebunden hatten, teilnahmslos danebenstanden und rauchten. Zwei Minuten später war es vorbei. Sie warteten noch zehn Minuten, dann gingen sie die etwa 500 Meter zurück zu ihrem BMW, stiegen ein und fuhren davon.

2
    Lenz fing an zu schwitzen, obwohl der Schneefall immer stärker wurde. Noch zwei, vielleicht zweieinhalb Kilometer, dann würde er es geschafft haben. Mit gleichbleibendem Schritt stapfte er durch den Neuschnee, der dieses Mal sicher liegen bleiben würde. Weiße Weihnachten, davon träumten nicht nur die Kinder. Mit Schaudern dachte der Hauptkommissar an die Weihnachtsfeier der Abteilung, von der er sich eine gute Stunde zuvor davongestohlen hatte. Die meisten seiner Kollegen waren zu dieser Zeit schon so betrunken gewesen, dass sie sich aneinander festhalten mussten. Er nahm sich vor, im nächsten Jahr einen Schnupfen oder Husten vorzutäuschen, um sich eine Wiederholung dieses Dramas zu ersparen. Und insgeheim bewunderte er seinen Mitarbeiter Thilo Hain dafür, dass er es schon in diesem Jahr so gemacht hatte. 40 Minuten später lag er im Bett und schlief.
     
    Sein Unterbewusstsein baute das Klingeln in einen Traum ein, den er beim Aufwachen bereits wieder vergessen hatte, deswegen dauerte es einen Moment, bis er das Telefon in der Hand hielt. Er drückte eine Taste, und das Läuten verstummte schlagartig.
    »Mist«, murmelte er, als ihm klar wurde, dass er das Gespräch abgewürgt hatte. Mit dem
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