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KALTHERZ

KALTHERZ

Titel: KALTHERZ
Autoren: Irmgard Schürgers
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Aufsichtspflicht ve r letzt.“
    „Jetzt machen Sie mal einen Punkt, ich weiß es auch nur vom Höre n sagen. Um die Uhrzeit ist ja mein Dienst längst zu Ende“, giftete Ge r trud Wagner zurück. Ein junger Mann rannte hinter ihr vorbei und schubste sie dabei an, so dass sie no t gedrungen einen Schritt auf Katja zugehen musste, um nicht umgerannt zu werden. Diesmal war sich Katja s i cher, dass Gertrud Wagner nach Alkohol roch. Ihre ganze Erscheinung stieß sie an diesem Morgen noch mehr ab, als am Vorabend. Sie trug ein unförmiges, langes und au s gebeultes graues T-Shirt, dazu eine alte Hose, deren au s gewaschene Farbe nicht mehr zu definieren war.
    „Hey, du, das nächste Mal passt du gefälligst auf“, rief sie dem Läufer hinterher. Der lachte und verschwand in e i nem der Zimmer.
    Katja hatte den Eindruck, dass die Bewohner des Heims Gertrud Wagner trotz ihrer rauen Art und ihres u n gepflegten Äußeren mochten. Auch Bärbel schien durchaus Ve r trauen zu ihr zu haben.
    „Was machen wir heute, Gertrud?“, fragte sie nun und schob sich in ihren Arm. „Spielst du mit mir Mensch ärgere Dich nicht?“
    „Ja, aber erst habe ich noch zu tun, Bärbel“, antwortete sie.
    „Sie kennen sich ja schon aus hier“, fuhr sie an Katja gewandt fort. „Ich bin im ersten Stock, falls Sie noch Fr a gen haben.“ Damit drehte sie Katja den Rücken zu und verließ den Raum.
    Katja schaute sich um. Der Aufenthaltsraum war fast leer. Auch behinderte Menschen schliefen offensichtlich gerne aus am Wochenende. Am Fenster auf der anderen Seite des Raums saßen zwei Männer. Beide hätten auch B e treuer sein können. Sie hatten nicht das Down-Syndrom und waren groß gewachsen, das war trotz der sitzenden Haltung zu e r kennen. Der eine schlank, der andere von kräftigerer Statur. Da Katja in dem schlankeren den Fot o grafen vom Vorabend erkannte, g e sellte sie sich zu ihnen. Stefan hatte mehrere Kartons vor sich stehen und sortierte Fotos. Der andere war in seine Malerei vertieft. Ein ma r kantes Gesicht entstand auf dem Papier. Mit sicheren Str i chen arbeitete er eine volle Haarpracht und einen au s drucksstarken Mund he r aus.
    „Hallo, ihr beiden, darf ich euch ein bisschen zusehen?“ Magnus Knab hatte sie darauf hingewiesen, dass sie die Bewohner des Heims duzen könne. Die B e hinderten selbst wendeten meistens diese Form der Anrede bei anderen Menschen an und wären manchmal verunsichert, wenn man sie siezte. Trotzdem kostete es Katja Überwindung, ihr völlig fremde erwachsene Menschen einfach zu duzen. Sie hatte das G e fühl, die Behinderung dieser Menschen durch das vertrauliche Du ausz u nutzen.
    „Das ist Selbermann“, erklärte ihr Stefan. „Wir sind be i de Künstler.“ Er war ernst wie am Vo r abend. Sein Kollege Selbermann schaute nicht auf.
    „Kann ich mir mal einige Bilder ansehen?“, fragte sie Stefan. Dieser nickte und schob ihr bereitwillig einen Stapel zu. Die Fotos zeigten hauptsächlich Personen, viele offe n bar aus dem Jakob-Rohmann-Haus, aber auch Außenau f nahmen waren dabei mit ihr fremden Häuserzeilen. Einige Fotos zeigten offenbar die Künstlergruppe, denn dort w a ren Behinderte zu sehen, die - über irgendwelche Arbeiten gebeugt, so wie Selbermann jetzt - mit großer Konzentrat i on an Bildern malten. Die Fotos waren g e stochen scharf. Katja wunderte sich zum wiede r holten Male, wie talentiert einige Behinderte waren.
    „Sie gefallen mir, die Fotos.“ Sie reichte Stefan den St a pel zurück. Er lächelte sie an. Dann zog er ein Foto aus e i nem anderen Stapel he r aus und gab es ihr.
    „Das ist der Lothar, du kannst es behalten.“
    Sie schaute sich das Bild an. Es zeigte Lothar Meyer im Profil, wie er an e i nem kleinen Schreibtisch saß und etwas malte. Sie war erstaunt, wie viel Atmosphäre Stefan in dem Bild eingefangen hatte. Katja fand, dass Lothar einsam und irgendwie verloren auf dem Bild aussah. Aber das lag sicher daran, dass sie ihn bisher nur als Leiche g e sehen hatte.
    „Dein Zimmer liegt neben dem von Lothar. Weißt du, wo Lothar vorgestern hi n gegangen ist?“
    Stefan schaute sie an und nickte dann.
    „Er wollte ins Kino gehen. Da geht er oft hin.“
    „Weißt du auch, in welchen Film er wollte?“
    „Nein“, er schüttelte den Kopf und blickte sich im Raum um.
    „Und dann war das Fenster zu“, warf Selbermann plöt z lich ein.
    „Wann war das Fenster zu? Hat es einer zugemacht?“
    Katja wartete gespannt auf die Antwort. „Hast du etwas
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