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KALTHERZ

KALTHERZ

Titel: KALTHERZ
Autoren: Irmgard Schürgers
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Ohrläppchen trug er einen Ohrring. Sie fragte sich, ob er vielleicht schwul sei. Vor allem in seinem Alter – sie schätzte ihn auf Anfang bis Mitte fünfzig -, fand sie einen Ohrring unangebracht. Er ist kein Typ für Oh r ringe, ging es ihr durch den Kopf, aber das war schließlich seine Sache.
    „Können Sie sich erklären, wieso Lothar Meyer draußen unter seinem Fenster gestorben ist? Wann haben Sie ihn zuletzt g e sehen?“, wandte sie sich jetzt an ihn.
    „Ich kann das nicht verstehen“, schüttelte er den Kopf. „Es war doch alles in Ordnung mit ihm, wieso sitzt er da vor seinem Fenster bei dieser Kälte?“
    „Herr Knab“, fragte Katja ungeduldig, „wann haben Sie ihn zuletzt g e sehen? War er gestern Abend hier?“
    „Ich weiß es nicht genau, ich war nicht den ganzen A bend hier. So gegen fünf Uhr habe ich ihn gesehen. Er kommt meistens zwischen halb fünf und fünf  nach Hause. Er war gerade mit dem Bus g e kommen, als wir uns auf dem Flur begegnet sind.“
    „Und was geschah dann, was machte Lothar Meyer normalerweise nach der Arbeit? Zog er sich zurück oder saß er mit jemandem zusammen?“
    „Ich glaube, er ist in sein Zimmer gegangen, das tut er meistens, wenn er nach Hause kommt. Die B e hinderten sind oft geschafft von der Arbeit in den Wer k stätten, vor allem von dem Lärm, der da herrscht.“
    „Wieso Lärm?“, fragte Katja. „Arbeiten die Leute an i r gen d welchen Maschinen?“
    „Nein, es sind meistens mechanische Arbeiten, die sie ausführen müssen, sie setzen Gläser und Deckel z u sammen und packen diese zum Beispiel in Kisten. Aber wie in allen größeren Gruppen gibt es Konflikte und Probleme, die die Behinderten lautstark untereinander austragen, es wird viel geschrien, aber auch gelacht. B e hinderte sind oft lauter als sogenannte normale Menschen, sie tragen alles direkter aus.“
    „Hatte Lothar Meyer Konflikte mit anderen B e hinderten?“
    „Lothar ist - äh - war der ruhige Typ. Er malte gerne und auch sehr gut. Deshalb b e suchte er ein- bis zweimal die Woche das Künstleratelier. Da trifft sich eine Gruppe uns e rer Behinderten, die beso n ders kreativ sind. Sie können dort unter Anleitung malen oder auch Skulpturen a n fertigen, je nach B e gabung.“
    „Trifft sich diese Gruppe auch abends?“
    „Nein“, Magnus Knab schüttelte den Kopf. „Die Gruppe trifft sich nur dienstags und donnerstags vo r mittags während der regulären Arbeitszeit der übrigen Werkstat t teilnehmer.“
    „Ist er vielleicht da noch mal hingegangen? Wo ist di e ses Künstle r atelier denn überhaupt?“
    „Dort kann er auf keinen Fall gewesen sein. Das Atelier ist hier in Sachsenhausen. Ich kann Ihnen die Adresse au f schreiben, aber was sollte das für einen Sinn haben, was hat sein Tod mit unserem Künstle r atelier zu tun?“
    „Herr Knab, was Sinn macht oder nicht, das müssen Sie schon uns überlassen“, antwortete Katja schärfer als b e absichtigt. „Vorläufig sammeln wir nur Fakten. Wie ist er denn mit seinen Kollegen au s gekommen, hatte er Freunde in der Wer k statt oder hier im Heim?“
    „Er war mit Stefan und Selbermann befreundet. Von Konflikten habe ich nichts bemerkt.“
    „Können Sie mir die vollständigen Namen seiner beiden Freunde nennen?“
    Magnus Knab gab ihr die Namen und erklärte der Kommissarin noch, dass Selbermann ein Pseudonym sei, dass er sich selbst gegeben habe. Er sei auch Mitglied der Künstlergruppe und jeder nenne ihn nur noch Selbe r mann.
    „Hat Lothar Meyer A n gehörige?“
    „Nein, seine Eltern sind schon lange tot, und sonst hat er meines Wissens keine A n gehörigen mehr.“
    „Ich werde heute Abend wiederkommen, wenn die Hei m bewohner alle anwesend sind. Wir müssen klären, wieso Lothar Meyer draußen vor seinem Fenster g e storben ist. Außerdem möchte ich Gespräche mit allen B e treuern führen. Sorgen Sie bitte dafür, dass die Betreuung s personen heute Abend vollzählig ve r sammelt sind.“
    Er nickte widerwillig wie ihr vorkam. Sie ve r abschiedete sich von ihm und lief durch die Kälte zu ihrem Auto. Wenn ich jetzt nicht bald einen heißen Milchkaffee kriege, geht gar nichts mehr, ging es ihr durch den Kopf. Die Antwo r ten von Magnus Knab hatten ihr vor allem eines vor Augen geführt: Sie hatte keine Ahnung, wie und wo Menschen mit geistiger Behinderung lebten und arbeiteten. Es war eine fremde Welt für sie. Wäre es möglich, dass ein geistig B e hinderter den Tod eines anderen Menschen planen konnte? Sie
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