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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz
Autoren: Charlotte Freise
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Haars in der Nase, und schaute ihr über die Schulter, während sie weiterschrieb.

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    Flüchtige Schatten
    H eute Nachmittag ist ein Vorsingen im
Alhambra
», sagte Charlie und faltete die Zeitung zusammen, in der er, am Esstisch sitzend, gelesen hatte. «Ich habe es heute früh von Postant erfahren. Er möchte dich hören.»
    Hetti blickte von ihrer Näharbeit auf, einem winzigen Hemd. Charlie konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendeinem Menschen passen sollte, nicht einmal dem winzigsten Säugling, den er sich vorstellen konnte.
    «Heute?»
    Hetti versuchte desinteressiert zu klingen, aber für Charlie war die Panik in ihrer Stimme offensichtlich.
    «Du brauchst keine Angst zu haben. Du wirst alle anderen Bewerber mit Leichtigkeit ausstechen.»
    Charlie kannte ihre Ausreden und wusste, was jetzt kommen würde.
    «Aber ich habe keine Zeit, ich muss doch noch alles vorbereiten, Professor Altheim und Maria und Willem kommen übermorgen an, und ich weiß noch nicht einmal, was ich kochen soll.»
    «Ich gehe einkaufen, und dann kochst du eben, was ich gekauft habe.»
    Hetti lachte, als hätte Charlie einen Witz gemacht, aber er meinte es ernst.
    «Außerdem, in diesem Zustand?», sagte sie und strich sich über den bereits deutlich gerundeten Bauch.
    Auch mit dieser Ausrede hatte Charlie gerechnet. Der Arzt, der Hetti auf dem Pflog-Hof untersucht hatte, hatte ihn beiseitegenommen und ihm erklärt, was Hetti außer dem Mordversuch noch widerfahren war. Er erinnerte sich daran, als sei es gestern gewesen.
    «Frau Pflog, Professor Regenmacher», hatte Charlie gesagt, «und Frau Keller. Sind Sie damit einverstanden, wenn ich Henriette um ihre Hand bitte?»
    «Ich hätte nicht gedacht, gerade dieses Kind zuerst unter die Haube zu bringen», hatte Frau Pflog nicht ohne Bitterkeit geantwortet.
    Frau Keller hatte mit sich gerungen, aber dann hatte sie gesagt: «Sie haben meine Erlaubnis.»
    Regenmacher war der Einzige, der seine Zustimmung gerne gab, und das hatte Charlie mehr überrascht als alles andere. «Mister Jackson, Sie haben das Leben meiner Tochter gerettet. Wenn sie Sie will, dann bin ich glücklich, sie Ihnen zur Frau zu geben.»
    Kurz darauf hatte der Arzt ihn beiseitegenommen und ihn gefragt, ob er wirklich ein solches Mädchen heiraten wollte, und dann hatte er ihm umständlich zu erklären versucht, was Charlie längst wusste.
    Denn in jener Nacht, als Hetti ihn mit hinunter in die geheime Kammer genommen hatte, hatte sie es ihm ganz umstandslos aufgeschrieben: Heinz Graf hatte sie entehrt, ihr Gewalt angetan, so sehr, dass der Arzt das gerissene Fleisch hatte nähen müssen.
    In jener Nacht hatte Charlie die wertvollste Violine bekommen, die er je besitzen würde, und dazu den berauschendsten Liebesbeweis, den er sich vorstellen konnte. Hetti hatte ihn gebeten, dass er ihr aus dem geheimen Buch vorlas, das sie von Ida geerbt hatte, und dann hatte sie gewollt, dass er Heinz Graf in ihr auslöschte, und er hatte es getan, sehr vorsichtig. Er betete, das es ihm gelungen war.
    Obwohl Charlie nicht wusste, ob Hetti sein Kind trug oder das von Heinz Graf, hatte er sich vorgenommen, es in jedem Fall wie sein eigenes zu lieben, selbst wenn es Momente gab, in denen Hass auf den fremden Mann in ihm aufbrandete, heiß und ätzend, Momente, in denen Hetti schwach und ängstlich war und für die er ihm die Schuld gab.
    «Außerdem habe ich seit Monaten keinen Unterricht mehr gehabt», sagte Hetti. «Meine Stimme …»
    «… ist perfekt.» Charlie machte eine ungeduldige Bewegung. «Hetti, ich höre dich singen, jeden Tag, ich höre dich deine Tonleitern und Intervalle üben. Du hast dich in deinem tieferen Register deutlich gesteigert. Deine Stimme klingt reifer und vollkommener als je zuvor.»
    Hetti stichelte weiter an ihrem Babyhemd herum.
    «Wenn ich nur besser Englisch könnte …»
    «Ich begleite dich natürlich. Und Postant ist sowieso auf deiner Seite, er hat sich in dich verliebt, als er dich das erste Mal gesehen hat.»
    Hetti schwieg.
    «Ich bitte dich, geh hin», sagte Charlie.
    «Warum ist dir das so wichtig? Wenn das Baby erst da ist …»
    «Weil ich weiß, wie mutig du sein kannst, wie stark und unbeugsam und entschlossen und … Und weil du dich jetzt wie ein Feigling benimmst. Du musst jetzt nicht mehr schweigen. Deine Stimme ist zurück.»
    Hetti blickte sich in ihrer Wohnstube um, einem von zwei Räumen und einer kleinen Küche, die sie gemietet hatten. Nichts Üppiges,
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