Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz
Autoren: Charlotte Freise
Vom Netzwerk:
um seine Schülerin.
    Schon von weitem sahen sie die dichte Staubwolke, die über dem Pflog-Hof in der Luft hing, und konnten sich keinen Reim darauf machen. Selbst als sie durch die Toreinfahrt in den Hof fuhren, war kaum zu begreifen, was hier geschehen war.
    Der Westflügel existierte nicht mehr, er war nichts weiter als ein dampfender Trümmerhügel, über den hinweg man an zwei Abtrittshäuschen vorbei weit in die Feldmark hinausblicken konnte. Ein großer Teil der Trümmer war in den Keller des Hauses gestürzt, auch das Haupthaus hatte Schäden erlitten, stand aber im Großen und Ganzen noch.
    «Meine Herrn», sagte der Alte und brachte seinen Einspänner zum Stehen.
    Aus dem Tor des größten Nebengebäudes kam ihnen Maria entgegengelaufen. Sie winkte und nahm Hund freudestrahlend in die Arme, als er an ihr hochsprang und ihr das Gesicht ableckte.
    «Was ist geschehen?», wollte Charlie wissen.
    «Der Professor Regenmacher sagt, es muss die Mangel gewesen sein.»
    «Die Mangel?»
    Hetti nickte, sagte aber nichts.
    «Im Keller.»
    Charlie machte sich plötzlich Sorgen um Altheim und Willem. Waren sie von ihrer Suchmission schon zurück gewesen, als das passiert war, oder waren sie noch unterwegs?
    «Ist jemand verletzt worden?»
    Charlie stieg aus und hob Hetti aus dem Wagen.
    «Ja. Nicht richtig. Ich meine, es gibt ein paar kleine Sachen. Aber … wir konnten Vater nicht finden», sagte Maria. Sie schlug die Augen nieder. «Er ist eigentlich immer im Westflügel.»
    Gemeinsam gingen sie zu dem großen Gebäude hinüber. Tausend Fragen brannten Charlie auf der Zunge, aber er entschied sich für die, die ihm jetzt am wichtigsten erschien.
    «Ist der Arzt hier?»
    Maria nickte. «Er ist oben in der Plättstube. Er hat zu tun.»
    «Er bekommt noch mehr zu tun», sagte Charlie.
    Jetzt kam auch Frau Keller aus der Tür des großen Gebäudes, sie lief ihnen entgegen und fing hemmungslos an zu weinen, als sie sah, dass Charlie Hetti brachte. Sie berührte die hohlen Wangen ihrer Pflegetochter, befühlte ihre Stirn, ihre Hände.
    «Danke, danke, danke, lieber Gott, ich danke dir», wiederholte sie ein ums andere Mal. Dann sah sie zum ersten Mal Charlie an und sagte: «Und Ihnen danke ich auch. Bitte, bringen Sie sie ins Waschhaus, schnell.»
    «Der Koffer», sagte Hetti, und der Alte, der sie hergefahren hatte und Hettis Besessenheit schon kannte, nahm den Violinkoffer und folgte der kleinen Prozession zum Waschhaus.
     
    Als Charlie Hetti durch die in das große Tor eingelassene Tür getragen hatte, hielt er inne. Überall standen fremdartige Maschinen, sie waren an den Wänden und in der Mitte des riesigen Raumes aufgereiht, es sah mehr nach einer Fabrik als nach einem Waschhaus aus. Er fragte sich, wie es hier zugehen musste, wenn die Maschinen liefen, die Kessel kochten. Doch jetzt war der Raum von einer bedrückenden Stille erfüllt, die Menschen schwiegen ebenso wie die Maschinen.
    «Bitte nach oben, in die Plättstuben», sagte Frau Keller schließlich.
    Als sie die Treppe am hinteren Ende des Waschhauses hinaufstiegen, schwiegen sie erneut.
    Erwartungsvolle Gesichter blickten ihnen entgegen, als sie die nach frischer Wäsche duftenden Plättstuben betraten. Charlie sah vier Mädchen, eines trug den Arm geschient und in einer Schlinge, Frau Pflog war da, und Regenmacher, dessen Brustkorb fest in einen Verband gewickelt war. Der linke Arm hing in einer Schlinge, und sein Gesicht war noch immer unnatürlich weiß. Aber Charlie sah weder Willem noch Professor Altheim.
    «Wohin?», fragte Charlie, und plötzlich kam Bewegung in die Anwesenden.
    «Machen Sie ein Lager für sie bereit», sagte der Arzt zu Frau Pflog.
    Schnell breitete sie mehrere Lagen Bettwäsche auf einem großen Plätttisch aus, und Charlie legte Hetti sanft darauf ab. Sie war kaum bei Bewusstsein, und dennoch spielte ein Lächeln um ihren Mund. Während der Arzt ihren Puls fühlte, spannten Frau Pflog und Frau Keller eine Wäscheleine zwischen zwei Stützbalken und hängten für die notwendigen Untersuchungen einige Laken als Sichtschutz auf.
    «Jemand soll mir frisches heißes Wasser bringen», sagte der Arzt, und das älteste der Mädchen lief los.
    «Was ist hier geschehen?», fragte Charlie nun zum zweiten Mal. «Und sind Willem und Professor Altheim noch nicht zurück?»
    Frau Keller schüttelte den Kopf. «Nein, noch nicht.»
    «Es gab ein paar kleinere Verletzungen. Platzwunden und Abschürfungen. Und Hulda hat sich den Arm gebrochen»,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher