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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Abzweigung zu dieser Kapelle kommen, schon so oft war er daran vorbeigefahren, an einem Schild, dem er nie die geringste Bedeutung beigemessen hatte. Da, da war es, Pestallozzi stieg auf die Bremse, dass der Volvo beinahe ins Schleudern geriet, aber zum Glück war gerade wenig Verkehr auf der Bundesstraße. Die Abzweigung war in Wirklichkeit nur ein schlammiger Weg, der hinunter zum Flussbett der Traun führte. Der Volvo rumpelte dahin, Pestallozzi fluchte lautlos. Wenn er jetzt hängenblieb! Dann würde er zum Kloster zurücklaufen und diese Schwester eigenhändig … Die Kapelle tauchte zwischen kahlen Bäumen auf, sie sah aus wie einer dieser Scherenschnitte, die man in den Auslagen der Antiquitätenläden manchmal sah. Schwarze Äste und ein schwarzes spitzgiebeliges Dach vor einem weißschimmernden Hintergrund. Er parkte den Wagen knapp vor der Tür und stieg aus, seine Schuhe versanken sofort im Morast. Und augenblicklich wurde ihm sein Fehler bewusst: Die Kapelle war natürlich verschlossen, bumfest zu, die Tür verriegelt, und die beiden Fenster glotzten ihn an wie trübe Bullaugen. Er griff ins Handschuhfach und holte eine Taschenlampe heraus, dann ging er auf das nächstliegende Fenster zu und leuchtete hinein. Aber es war vergebliche Liebesmüh. Die Scheiben starrten vor Schmutz und waren außerdem noch vergittert, der Raum dahinter blieb düster und gab sein Geheimnis nicht preis. »Scheißdreck, verdammter!« Er fluchte nun laut und ungeniert, es hörte ihn sowieso keiner in dieser Ödnis. Ob er den Pfarrer herbestellen sollte mit den Schlüsseln? Und hier stehen und warten? Vielen Dank, da klemmte er sich lieber noch einmal hinters Steuer und holte den Hochwürden höchstpersönlich ab.
    Er ließ sich wieder ins Auto fallen und fuhr den Weg zurück bis nach Ischl und weiter zum See, dort bog er von der Bundesstraße ab und fuhr hinunter zum Kirchenplatz. Das Kirchenschiff war ganz eindeutig erleuchtet, leiser Gesang drang an sein Ohr. Er sah auf die Uhr. 19 Uhr vorbei. Wovon hatte Lisa da gesprochen? Von einer Vesper? Ob das so eine Art Andacht war? Er öffnete die Kirchentür und ließ sie wieder zufallen, ein paar alte Frauen drehten sich erschrocken um und starrten ihn an, dann sahen sie wieder nach vorn zum Herrn Pfarrer. Der beugte gerade das Knie vor dem Altar, die Frauen murmelten irgendein Gebet, in dem die Heilige Mutter vorkam. Heilige Mutter, bitte für uns. Dann stimmten alle ein Lied an, und endlich verließ der Pfarrer den Kirchenraum, durch eine Tür ganz hinten, zwei Ministranten folgten ihm. Pestallozzi hastete durch das Kirchenschiff, eine alte Frau bekreuzigte sich. Er stieß die Tür auf, einer der Ministranten half dem Pfarrer gerade, sein besticktes weißes Chorhemd über den Kopf zu ziehen.
    »Herr Pfarrer, ich muss Sie dringend sprechen«, sagte Pestallozzi. »Ich brauche Ihre Hilfe, wir müssen zur Kapelle draußen in Goisern, zur Kapelle im Schatten. Es geht um den Fall Agota Lakatos. Ich muss das Innere der Kapelle sehen.«
    Die Ministranten starrten ihn an. Der Pfarrer, Darius hieß er, genau, war nur einen Moment lang verblüfft. Dann nickte er den beiden Buben zu: »Thomas, Bernhard, ihr sorgt mir dafür, dass hier alles gut abgeschlossen wird. Ich werde den Herrn begleiten. Herr …«
    »Pestallozzi. Chefinspektor Artur Pestallozzi aus Salzburg.«
    »Genau. Ich habe Sie schon mehrmals bei uns im Ort gesehen.«
    Der junge Pfarrer griff nach seiner Jacke, die über einer Stuhllehne hing, dann holte er einen schweren Schlüsselbund aus einer Schublade. Sie verließen die Kirche diesmal durch eine Seitentür, Pfarrer Darius setzte sich auf den Beifahrersitz.
    »Ich bin schon dort gewesen«, sagte Pestallozzi. »Aber die Tür war versperrt.«
    Der Mann neben ihm seufzte. »Das ist leider unumgänglich geworden. Früher sind die Gotteshäuser für alle offen gewesen, zu jeder Tageszeit. Aber der Vandalismus und die Diebstähle nehmen solche Formen an, selbst hier auf dem Land. In der Stiftskirche drüben hinterm Mondsee ist erst im Sommer eine gotische Madonna gestohlen worden, die hat jemand am helllichten Tag einfach aus der Sakristei getragen. Und unsere schöne Kirche ist mit Farbe besprüht worden, wir mussten eine eigene Kollekte veranstalten, um die Ausbesserungsarbeiten zu finanzieren. Traurige Zeiten sind das.« Er seufzte wieder. Wenigstens bekam er nicht mit, dass sie gerade sämtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen durchbrachen. Vorbei an Ischl und an Goisern,
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