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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman
Autoren: Gmeiner-Verlag
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tropfender Nase, und keine Menschenseele war ihm entgegengekommen, nicht einmal ein Hund. Doch dann hatte es auf einmal etwas gegeben, worauf man sich freuen konnte, wenn die Sommersaison vorbei war und der Nebel über den See gekrochen kam wie in einem Vampirfilm. Lachen und Geselligkeit, Punschhütten und Geigenmusi, Zimtsterne und Kletzenbrot. Freche kleine Ziegen für die Kinder zum Streicheln. Mit Lichterketten festlich geschmückte Dampfer, die durch das dunkle Wasser pflügten und die golden schimmernden Orte miteinander verbanden. Überall flackerten und knisterten offene Feuer, Kohlenstücke in gusseisernen Körben und Holzstämme, die langsam zu Asche verglosten. Tannen und Fichten standen an jeder Ecke, aber nicht so aufgemotzte wie in den Kaufhäusern, sondern schlichte frischgeschlägerte Bäumchen aus dem Wald, die sich nur mit ihrem Duft schmückten. Das Beste aber war die Laterne. Fast 20 Meter hoch schaukelte sie weit draußen auf dem See und leuchtete wie eine Sternschnuppe vom Himmel, die mit ihrem Schein die Gesichter der Menschen am Ufer zum Leuchten brachte und ihre Herzen wärmte. Nie gab es Raufhandel, auch wenn der Punsch floss. Von dem er heute Abend übrigens erst eine einzige Probe gekostet hatte, auch das gehörte nämlich unbestreitbar zu den Amtshandlungen eines wachsamen Inspektors. ›Feurige Liebe‹ von der Loibner Hanni war ja wirklich ein fürchterliches Gebräu, aber der Mandarinenpunsch … Krinzinger beschloss, sich noch einen Henkelbecher voll zu genehmigen, am besten von der Christine. Die schöpfte ihm immer eine Extraportion Mandarinenspalten aus dem Kessel, nach denen er dann voller Wonne fischen konnte, so wie nach den Kandiszuckerkieseln im Hustentee seiner Kindheit. Krinzinger zog seine wattierte Jacke stramm und setzte sich in Bewegung, fein ausgewogen nach allen Seiten grüßend. Servus, Lois. Habedieehre, Schorsch. Hallo, Suse. Der Herr Bürgermeister samt Gattin und quengelnden Enkelkindern kam ihm entgegen, die Ziegen wollten offenbar nicht mehr gestreichelt werden. Italiener kreisten ihn kurzfristig ein, die Frauen trugen Pelzmäntel, die verteufelt echt aussahen. Er linste kurz hinüber zum Socken-Stand, aber seine Frau war zum Glück in ein Verkaufsgespräch vertieft, die sah es nämlich gar nicht gern, wenn er der hübschen Christine seine Aufwartung machte. Lachen und Klirren, Schwaden von Glühwein und Duftwolken von kandierten Mandeln umgaben ihn – und ein leises Zirpsen. Oder war es ein Rufen gewesen? Ein erstickter Schrei? Ein Laut war jedenfalls an sein Ohr gedrungen, der seltsamerweise eine angstvolle Reaktion bei ihm ausgelöst hatte. Krinzinger fühlte, wie sich sein Magen zusammenzog. Er blieb stehen und sah sich um, ein kompaktes Hindernis inmitten der drängelnden und schubsenden Menge. Und dann sah er sie: eine Touristin, die offenbar soeben die Böschung heraufgeklettert war, die sich hinter dem Musikpavillon zu einem Wäldchen absenkte. Das Wäldchen übte leider eine magische Anziehungskraft auf Umweltverschmutzer aus. In Sommernächten war es die Dorfjugend, die sich in seinem Dickicht vergnügte und leere Bierflaschen, Red-Bull-Dosen und Zigarettenstummel zurückließ, während des Weihnachtsmarktes wurde es dann noch schlimmer. Dabei hatte die Gemeinde extra mobile Toilettenhäuschen aufstellen lassen, vor denen unentwegt Schlangen von Frauen anstanden, die Männer schlugen sich einfach in die Büsche. Doch wenn die Warteschlangen zu lang wurden und der Punsch einfach zu viel gewesen war, dann … der arme Dragan musste dann immer am nächsten Morgen mit der Schaufel anrücken. Aber die Frau, die offenbar durch knietiefen Schnee gewatet war – ihre Hosenbeine waren von Eiskristallen überzogen –, sah nicht aus, als ob sie sich über mangelnde Hygiene beschweren wollte. Ihr Gesicht war kreidebleich, ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr Mund war geöffnet, als ob sie um Luft ringen würde. Gleich würde sie zu schreien beginnen, weshalb auch immer. Krinzinger setzte sich in Bewegung. Er rempelte sich den Weg zum Musikpavillon frei, Besucher wichen kopfschüttelnd zur Seite, ein Mann schimpfte hinter ihm her, der sich seinetwegen Punsch auf den Anorak geschüttet hatte. Alle hielten ihn offenbar für einen Betrunkenen, der dringend frische Luft brauchte. Endlich war er beim Musikpavillon angelangt, die Frau starrte ihm leintuchblass entgegen und streckte die Hände nach ihm aus.
    »Da, da, da hinten …« Sie wies hinter sich,
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