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Kalt

Kalt

Titel: Kalt
Autoren: Dean R. Koontz
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zu hegen.
    Alles in allem stellte der Mann den Gegensatz eines Schurken dar und trug ein freundliches Lächeln auf dem Gesicht, doch in der Hand hielt er einen elastischen Gummischlauch. Das Ding sah aus wie eine dünne Schlange und war knapp einen Meter lang. Nun konnte man kein unbelebtes Objekt, sei es nun ein Löffel oder ein sorgsam gewetztes, rasiermesserscharfes Klappmesser, prinzipiell als böse bezeichnen; doch während man ein Klappmesser auch bloß dazu benutzen konnte, einen Apfel zu schälen, fand Dylan es in diesem gefahrvollen Moment schwierig, sich einen gleichermaßen harmlosen Verwendungszweck für den fingerdicken Gummischlauch vorzustellen.
    Die rege Phantasie, die sonst Dylans Kunst zugute kam, peinigte ihn nun mit der absurden, aber lebhaften Vorstellung einer Zwangsernährung durch die Nase oder einer Darmuntersuchung, die eindeutig nicht durch die Nase durchgeführt wurde.
    Seine Unruhe legte sich keineswegs, als ihm klar wurde, dass es sich bei dem Gummischlauch um eine Aderpresse handelte. Jetzt wusste er wenigstens, wieso sein linker Arm mit der Handfläche nach oben festgebunden worden war.
    Als er trotz des mit Speichel getränkten Knebels und des Klebebands protestierte, klang seine Stimme nicht deutlicher als die eines voreilig begrabenen Menschen, der durch den Sargdeckel und eine zwei Meter dicke Erdschicht hindurch um Hilfe rief.
    » Ruhig, junger Mann. Ganz ruhig. « Die Stimme des Eindringlings hörte sich nicht etwa wie die eines raubeinigen Gangsters an, sondern so weich und mitfühlend wie die eines Landarztes, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, alle Nöte seiner Patienten zu lindern. » Es wird alles gut. «
    Er war sogar wie ein Landarzt gekleidet, wie ein Relikt aus jener längst vergangenen Zeit, die Norman Rockwell in seine n T itelbildern für die Saturday Evening Post eingefangen hatte. Seine Schuhe aus feinem, weichem Leder glänzten frisch gewienert und poliert, und die strohgelbe Anzughose war mit Hosenträgern befestigt. So, wie er sein Jackett ausgezogen, die Hemdsärmel hochgekrempelt und Kragenknopf samt Krawatte gelockert hatte, fehlte ihm nur noch ein herabbaumelndes Stethoskop, dann hätte er das perfekte Abbild eines in Ehren verknitterten Doktors am Ende eines langen Tages voller Hausbesuche abgegeben, eines gütigen Heilers, den jedermann liebevoll als » Doc « bezeichnete.
    Dylans kurzärmeliges Hemd erleichterte das Anlegen der Aderpresse. Kaum war der Gummischlauch in Windeseile um seinen linken Bizeps gebunden worden, da schwoll eine der Venen auch schon sichtbar an.
    » Schön, schön «, murmelte Doc, während er mit der Fingerkuppe behutsam auf das hervorstehende Blutgefäß tippte.
    Durch den Knebel gezwungen, ausschließlich durch die Nase ein- und auszuatmen, hörte Dylan den erniedrigenden Beweis für seine zunehmende Angst, weil das Schnaufen und Pfeifen seines Atmens nun immer deutlicher wurde.
    Mit einem in Alkohol getränkten Wattebausch betupfte der Doktor die angepeilte Vene.
    Jedes Element des Augenblicks – Shep, der niemandem zuwinkte und blitzschnell puzzelte; der lächelnde Eindringling, der seinen Patienten für eine Injektion vorbereitete; der eklige Geschmack des Lappens in Dylans Mund; der beißende Geruch von Alkohol und der einschnürende Druck des Isolierbands – nahm Dylans fünf Sinne so vollständig in Anspruch, dass die Vorstellung, alles sei nur ein Traum, nicht ernsthaft aufrechtzuerhalten war. Trotzdem schloss Dylan mehr als einmal die Augen und zwickte sich geistig in den Arm … aber wenn er wieder hinschaute, atmete er nur noch schwerer, da der Albtraum sich durchweg als wirklich herausstellte.
    Die Injektionsspritze war doch bestimmt nicht so riesig, wie sie aussah! Das Instrument schien weniger für Menschen geeignet zu sein als für Elefanten oder Nashörner. Dylan vermutete, dass seine Angst die Dimensionen größer werden ließ.
    Den rechten Daumen fest auf dem Kolben und die gebogenen Finger um den hervorstehenden Rand des Zylinders, drückte Doc die Luft aus der Spritze. Ein Spritzer einer goldfarbenen Flüssigkeit schimmerte im Lampenlicht, während er in einem Bogen auf den Teppichboden schoss.
    Mit einem erstickten Protestschrei zerrte Dylan an den Fesseln, bis der Stuhl zu wackeln anfing.
    » So oder so «, sagte der Doktor freundlich, » bin ich entschlossen, dies zu verabreichen. «
    Dylan schüttelte hartnäckig den Kopf.
    » Dieses Zeug wird Sie nicht umbringen, junger Mann, aber wenn Sie sich
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