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Kalt

Kalt

Titel: Kalt
Autoren: Dean R. Koontz
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Phantasie ihm zumindest bezüglich der Dimensionen der Spritze doch keinen Streich gespielt hatte. Die war tatsächlich riesengroß. Furcht einflößend groß. Auf dem durchsichtigen Kunststoffzylinder wies eine schwarze Skala auf ein Fassungsvermögen von zwanzig Millilitern hin. So eine Dosis verschrieb wohl der Zootierarzt jenen seiner Patienten, die ein Gewicht von fünf Zentnern überschritten.
    » Das Zeug ist psychotrop. «
    So anspruchsvoll und exotisch dieses Wort auch klang, Dylan hätte seine Bedeutung vielleicht erfassen können, wenn ihm ein klarer Gedanke vergönnt gewesen wäre. Stattdessen schmerzte sein gedehnter Unterkiefer, und aus dem nassen Stoffknäuel in seinem Mund drang ein saurer Speichelstrom, der ihn um ein Haar zum Würgen gebracht hätte. Die zugeklebten Lippen brannten, und die Angst durchströmte ihn noch stärker, als er sah, wie ihm die mysteriöse Flüssigkeit in den Arm lief. Außerdem nervte ihn Sheps zwanghaftes Winken inzwischen gewaltig, obwohl er es nur aus den Augenwinkeln sehen konnte. Unter diesen Umständen war es nicht einfach, einen klaren Gedanken zu fassen. Und deshalb zuckte ihm das Wort psychotrop ebenso glatt, glänzend und undurchschaubar im Hirn hin und her wie eine Stahlkugel, die im blitzenden Labyrinth eines Flipperautomaten von Stift zu Target, von Schlagturm zu Flipperarm sauste.
    » Bei jedem wirkt es anders. « Eine unverhohlene, leicht perverse Neugier blitzte in Docs Stimme auf, was Dylan so störend vorkam wie Glassplitter in einem Topf voll Honig. Obwohl dieser Mensch wie das Ebenbild eines fürsorglichen Landarztes aussah, verhielt er sich seinem widerwilligen Patienten gegenüber wie Viktor von Frankenstein. » Die Wirkung ist ausnahmslos interessant, häufig erstaunlich und manchmal positiv. «
    Interessant, erstaunlich, manchmal positiv: Das klang nicht wie ein Lebenswerk, das dem von Jonas Salk, dem Entdecker des Impfstoffes gegen Kinderlähmung, gleichkam. Eher schien Doc der Tradition des tückischen und größenwahnsinnigen Forschers entsprungen zu sein.
    Der letzte Milliliter Flüssigkeit floss aus dem Zylinder der Spritze in die Nadel und damit in Dylan.
    Dylan erwartete, ein Brennen in der Vene zu spüren, eine schreckliche chemische Wärme, die sich rasch über seinen ganzen Kreislauf ausbreitete, aber das Feuer ließ auf sich warten.
    Auch eisige Kälte stellte sich nicht ein, ebenso wenig wie lebhafte Halluzinationen, Phantomspinnen, die ihm über die zarte Hirnhaut krabbelten und ihn in den Wahnsinn trieben, das Echo gespenstischer Stimmen im Innern des Schädels, heftige Muskelzuckungen, schmerzhafte Krämpfe und Inkontinenz, Übelkeit und Schwindel. Auch wuchsen ihm keine Haare auf den Handflächen, und das Zimmer begann sich nicht zu drehen, weil etwa seine Augen wie Windrädchen in den Höhlen kreisten. Kurz, die Injektion hatte keine wahrnehmbare Wirkung – außer vielleicht, dass Dylans fiebrige Phantasie das Thermometer des Absurden um einige Grad ansteigen ließ.
    Doc zog die Nadel heraus.
    An der Einstichstelle trat ein einzelner Blutstropfen aus.
    » Einer der beiden wird die Schuld schon bezahlen «, murmelte Doc nicht Dylan, sondern sich selbst zu; eine Bemerkung, die scheinbar keinen Sinn ergab. Dann trat er hinter Dylan und verschwand aus dessen Blickfeld.
    Die purpurrote Perle zitterte in Dylans linker Armbeuge, als pulsierte sie in mitfühlendem Gleichtakt mit dem rasenden Herzen, das sie einmal in die entfernteste Kapillare getrieben hatte und von dem sie nun für immer getrennt war. Dylan hätte sie am liebsten wieder durch die Stichwunde eingesogen und resorbiert, weil er fürchtete, in dem garstigen Überlebenskampf, der ihn nun bestimmt erwartete, jeden gesunden Blutstropfen zu brauchen. Nur im Vollbesitz seiner Kräfte konnte er hoffen, mit der unheimlichen Bedrohung, die man ihm injiziert hatte, fertig zu werden.
    » Aber die Schuld zu bezahlen wirkt nicht wie Parfüm «, sagte Doc und erschien mit einem Pflaster, das er beim Sprechen aus der Hülle schälte. » Es wird den Gestank des Verrats nicht überdecken, oder etwa doch? Nein, das ist ganz und gar unmöglich. «
    Obwohl er wieder unmittelbar Dylan ansprach, blieben seine Worte rätselhaft. Sie waren so bedeutungsschwer, dass si e e igentlich einen ernsten Ton erfordert hätten, aber Docs Stimme blieb heiter. Auch das etwas schrullige, schlafwandlerische Lächeln umspielte weiterhin seine Züge; es nahm zu und ab und wieder zu wie eine Kerzenflamme, die von
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