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Wenn das Glück dich erwählt

Wenn das Glück dich erwählt

Titel: Wenn das Glück dich erwählt
Autoren: Linda Lael Miller
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    Montana, 1870
    N iemals in ihrem Leben würde Evangeline jenen ersten Blick auf ihn vergessen, als er durch den frisch gefallenen hohen Schnee geritten kam. Jenen wundervollen, goldenen Moment, in dem sie ihn für jemanden gehalten hatte, der er gar nicht war.
    Abigail, ihre sechsjährige Tochter, stand neben ihr am Fenster auf einer umgedrehten Obstkiste und spähte durch die von ihrem Atem beschlagene Fensterscheibe. »Siehst du, Mama, er ist gekommen, um uns abzuholen! Ich habe dir ja gesagt, dass er uns holen würde ... Ist er nicht ein schöner Mann?«
    Evangeline Keating biss sich auf die Unterlippe und versuchte, die unbändige Freude und Angst zugleich, die in ihr aufstiegen, zu ignorieren. Der Reiter war in der Tat »ein schöner Mann«, - zumindest, was seinen Körperbau betraf; seine Schultern wirkten breit und muskulös unter der dicken Schaffelljacke, und seine Beine waren lang und schlank. Er führte mit einer Leichtigkeit die Zügel, die bewies, dass er sich mit Pferden auskannte. Sie konnte weder seine Gesichtszüge erkennen noch die Farbe seines Haars, denn er trug einen alten Hut, den er zum Schutz gegen die Kälte dieses Morgens, der mit unerwartet starkem Schneetreiben begonnen hatte, tief in die Stirn gezogen hatte.
    Sie brauchte ihn aber auch gar nicht richtig zu sehen, weil sie ein Bild von ihm besaß und es immer wieder angesehen hatte auf der Reise. »Ein Bild von einem Mann«, bestätigte Evangeline schließlich ihrer Tochter. Sie dachte an das, was nach der Trauung von ihr erwartet werden würde, und bereute fast ein bisschen ihren Entschluss, nach Westen gekommen zu sein, um Mr. John Keating, den wohlhabenden Cousin ihres verstorbenen Mannes, zu heiraten. Obwohl ihr eigentlich gar keine andere Wahl geblieben war. Charles hatte sie mittellos zurückgelassen und sowohl die Farm wie auch alle anderen Vermögenswerte Mott hinterlassen, seinem Sohn aus der Ehe mit seiner ersten Frau, Clara, die er vergöttert hatte.
    Mott hatte offenbar damit gerechnet, neben dem Landbesitz und Geld seines Vaters auch Evangeline zu erben, eine Vorstellung, die sie nach wie vor erschaudern ließ, wann immer ihr dieser Gedanke kam. Heiratsfähige Männer waren Mangelware in ihrer kleinen Stadt in Pennsylvania, genau wie in der näheren Umgebung, was auf die verheerenden Verluste während des erst kürzlich beendeten tragischen Kriegs zurückzuführen war. Evangeline, für die es keine Möglichkeit gab, sich mit Anstand ihren Lebensunterhalt zu verdienen, blieb nichts anderes übrig, als zu heiraten.
    Als sie schon begonnen hatte zu befürchten, sie müsse schließlich doch nachgeben und Mott Keating als Ehepartner akzeptieren - sein Vater war wenigstens ein ruhiger, beherrschter Mann gewesen, wenn auch nicht gerade gütig war der Brief gekommen. Mr. John Keating, ein einsamer, aber wohlhabender Rancher, schrieb, um seine Anteilnahme zu bezeigen. Er hatte ein etwas unscharfes Bild von sich dazugelegt und eine nicht unbeträchtliche Bankanweisung, die auf Evangelines Namen ausgestellt war.
    Falls sie die beschwerliche Reise nach Westen auf sich nehmen wolle, schrieb er, würde er sie heiraten und ihre Tochter als seine eigene aufziehen. Er sei ein umgänglicher, gottesfürchtiger Mann mit bescheidenen Wünschen und Erwartungen, beschrieb er sich. Er sei unter den Ersten gewesen, die Vieh von Texas nach Montana getrieben hatten, und besitze ein schönes, solides Haus auf seinem Land, ein Haus, das jedem Wetter standhielt. Er habe einen netten, zuverlässigen Partner, der sich die meiste Zeit im Haus nicht blicken ließe. Die Arbeit sei hart, gestand er, die Ranch liege sehr einsam, und es arbeiteten nicht viele Menschen dort. Es gebe sozusagen keine Frauen dort, auch keine Schulen oder Kirchen, obwohl Mr. Jacob McCaffrey, der mit seiner Frau die etwa zehn Kilometer entfernte Postkutschenstation »Springwater« leitete, sich hin und wieder überreden ließe, für die anderen zu predigen.
    Evangeline hatte ihren und Abigails geringen persönlichen Besitz in eine einzige Reisetruhe gepackt und war mit der Eisenbahn von Philadelphia nach St. Paul gefahren, wo sie die erste von zahlreichen Postkutschen bestiegen hatten, um Nebraska und Montana zu durchqueren. Die Reise hatte Wochen gedauert und eine Menge Willenskraft, Durchhaltevermögen und Beharrlichkeit von Evangeline erfordert. Wenige Stunden nach dem Schneesturm, der in der Nacht getobt hatte, hatten Mutter und Tochter erschöpft, hungrig und bis auf die Knochen
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