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Kalt ist der Abendhauch

Kalt ist der Abendhauch

Titel: Kalt ist der Abendhauch
Autoren: Ingrid Noll
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und anzuheben, um ihn wie einen neugeborenen Prinzen dem Käufer überaus zierlich darzubieten. Und diese zarten Hände sollten Hasen abbalgen?
    Übrigens konnte ich mir Hugo auch nicht gut bei solchen Tätigkeiten vorstellen, und ich sollte recht behalten. Bereits beim ersten Rehbock, den er schoß, wurde es brenzlich für Hugo. Er sollte das tote Wild aufschneiden und ausnehmen -wobei er sich bei seiner Erzählung weidmännischer ausdrückte. Es war ein entsetzlicher Augenblick, als alle Jagdkumpane sahen, wie ihm der Angstschweiß ausbrach und seine Hände zitterten.
    Vielleicht war es ihm gar nicht so unrecht, daß Ida kurz darauf schwanger wurde. Ich erfuhr es von Fanni. Die Aufregung muß alles übertroffen haben, was meine Eltern in ihrem bürgerlichen Alltag bisher erlebt hatten, leider ließen sie mich nicht daran teilnehmen. Die beiden Familienoberhäupter tagten hinter geschlossenen Türen. Sofortige Heirat, forderte mein Vater. Sofortiger Abbruch des Studiums, verlangte Hugos Papa. Vielleicht wurde es von den Vätern sogar heimlich begrüßt, daß Hugo zur Strafe nun vor die Wahl gestellt wurde, in welchem der beiden Geschäfte er arbeiten sollte.
    Er begab sich in die Dienste des Schwiegervaters. Mein Vater war glücklich; mit fortschreitendem Alter litt er stärker unter seiner Behinderung. Unser Elternhaus in Darmstadt lag direkt am Marktplatz; im Parterre befand sich das Geschäft, in der ersten Etage die Wohnung, im zweiten Stock und in den Mansarden waren die vielen Schlafzimmer untergebracht. Die steilen Treppen setzten meinem Vater sehr zu. Ida war als einzige der Familie am Schuhgeschäft interessiert und entlastete ihn damals schon. Hugo war kein Dummkopf, die akademischen Flausen würden ihm sicher bald vergehen. Bei sofortiger Hochzeit konnte man in einigen Monaten ohne Skandal eine Frühgeburt anzeigen. Nur ich war über alle Maßen traurig: Hugo
    - ein Schuhverkäufer? Ida, die nicht gefragt wurde, wäre lieber im Juwelierladen eingezogen und hätte auf graziöse Weise Ringe und Ketten verkauft, aber sie mußte froh sein, so glimpflich davonzukommen.
    Albert nahm die Dinge gelassen hin, er interessierte sich bloß für das Hochzeitskleid. Ich sehnte mich danach, mit meinem vertrauten Lieblingsbruder über Idas Schwangerschaft zu sprechen, ich war - heute glaubt mir das niemand - nur unvollständig aufgeklärt. Die großen Brüder und Schwestern getraute ich mich nicht zu fragen, mit Albert aber konnte ich wie mit einer guten Freundin reden. Aber er mochte nicht. »Ich bin in Trauer«, sagte er, »Valentino ist gestorben.«
    Vielleicht hätte ich Hugo schnell vergessen und mich in einen anderen Mann verliebt, wenn er nicht täglich bei uns erschienen wäre. Seit er im Geschäft meines Vaters eingearbeitet wurde, saß er bei jedem Mittagessen dabei. Ich sehe unseren Tisch noch vor uns, groß genug für zwölf Personen. Am Kopf- und Fußende präsidierten Vater und Mutter. Die Jüngsten waren nach alter Tradition der Mama zugeteilt, die Ältesten dem Papa. Wenn Albert nicht im Internat war, saß ich zwischen ihm und Fanni, Hugo bekam einen Platz neben Ida zugewiesen, mir genau gegenüber. Sobald ich von meiner Suppe hochsah, begegnete ich seinen Blicken. Er hatte schnell bemerkt, daß Albert und ich am lustigsten waren, und brachte uns mit allen möglichen Tricks zum Lachen. Wenn die Eltern nicht herübersahen, ließ Hugo die Messerbänkchenhasen wie Löwen durch die Serviettenringe springen oder am Salznäpfchen nuckeln.
    Mein Vater war zwar in manchen Dingen sehr streng, aber beim Essen ging es einigermaßen ungezwungen zu. Er selbst diskutierte mit Heiner und Ernst Ludwig am oberen Tischende mit lauter Stimme über das Trauma seines Lebens: die inzwischen längst überwundene Inflation von 1923. Gern zeigte er einen Geldschein über eine Billion Mk. oder belehrte uns, daß ein Telefongespräch damals 500000,- Mk. gekostet habe.
    Ein Dienstmädchen brachte die Speisen herein, aber für das Tischdecken war ich, für das Abräumen Fanni zuständig. Wir aßen nur sonntags vom Meißner Porzellan, an Wochentagen nahm man Steingutgeschirr. Die Messer lagen artig auf silbernen Messerbänkchen in Form eines springenden Hasen. Es gab langweiligerweise immer Suppe, Gemüse, gekochtes Fleisch, Kartoffeln und Kompott. Nur freitags konnten wir mit Reibekuchen und Apfelmus rechnen, an Waschtagen mit gelbem Erbseneintopf.
    Einen von den alten blau-weißen elterlichen Desserttellern habe ich noch. Bis vor
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