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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
Autoren: Unbekannter Autor
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»Ich komme nach, ich komme
    - geht schon vor!«
    Zögernd drehte er sich um und lief los. Trotz des Stroms der Flüchtenden rührte ich mich nicht von der Stelle und wandte mich wieder Francesco zu.
    Er war auf die Seite gefallen; Salai hatte ihn verwundet und sein Messer mit dem Fuß beiseite getreten. Francesco war hilflos.
    »Lisa«, sagte er. Sein Blick war wild, voll Todesangst. »Wozu soll das gut sein? Wozu?«
    Ja, wozu eigentlich? Ich bückte mich und näherte mich ihm mit hoch erhobenem Stilett - falsch. Salai hätte es missfallen. Aber ich wollte das Stilett nach unten führen, so wie Francesco de' Pazzi seine Waffe auf Lorenzos Bruder niedergestoßen hatte: wild, unachtsam, mit zornigem Zuk-ken, mit roten Spritzern, mit tausend Stichen für jede Übeltat. Ich hätte keine Körperstelle ausgelassen.
    Meinen Vater in die Falle gelockt
    Die mir Nahestehenden ermordet
    Mein Leben und mein Kind gestohlen
    »Du bist nicht mein Gemahl«, sagte ich fauchend. »Das warst du nie. Meinem wahren Gemahl zuliebe werde ich dich umbringen.« Ich beugte mich zu ihm hinunter.
    Er stieß zuerst zu. Mit einer kleinen Klinge, versteckt in seiner Faust. Sie biss mir direkt unter dem linken Ohr ins Fleisch und hätte einen raschen Schnitt bis zum rechten vollführt. Noch ehe sie jedoch die Mitte erreichte, wich ich verwundert zurück und setzte mich auf die Fersen.
    »Hure«, krächzte er. »Hast du geglaubt, ich würde zulassen, dass du alles zunichte machst?« Er sank zu Boden, noch immer am Leben, und funkelte mich hasserfüllt an.
    Ich legte eine Hand an den Hals und zog sie wieder weg. Sie war granatfarben - eine dunkle Kette, Francescos letztes Geschenk.
    Ich kann hier verbluten. Ich überlegte. Ich kann meine Rache haben. Ich kann Francesco jetzt umbringen und verbluten, und sie werden mich später hier finden, tot auf seiner Leiche.
    Ich entschied mich dafür, ihn nicht zu töten.
    In meinen Ohren begann es zu rauschen, als nahte eine Flut. Wie Giuliano in Francescos Lüge ertrank ich, so sicher, als wäre ich vom Ponte Santa Trinita in den Arno gestürzt. Hinabgefallen und tief gesunken. Und endlich war ich an einen Ort getaucht, an dem meine Gefühle schwiegen.
    Um Matteo machte ich mir keine Sorgen. Ich wusste, er war in den Armen seines Großvaters sicher. Auch um mich selbst war mir nicht bange, ich versuchte nicht, meinen Angreifern zu entfliehen; ich wusste, dass ich nicht mehr ihr Ziel war. Ich machte mir keine Gedanken über Francesco oder meinen Hass auf ihn. Ich würde ihn Gott und seinen Obrigkeiten überlassen; es war nicht meine Sache. Ich wusste jetzt, wohin ich gehörte.
    Lieber Gott, betete ich. Lass mich Giuliano retten.
    Wie durch ein Wunder stand ich auf.
    Mein Körper war bleischwer, ich bewegte mich wie durch Wasser, doch kraft meines Willens gelang mir das Unmögliche: Ich ging in die Richtung, in die Salvatore de' Pazzi gegangen war, um nach meinem Geliebten zu suchen. Das Stilett war schwer; meine Hand zitterte vor Anstrengung, es zu halten.
    Ich hörte seine Stimme.
    Lisa! Lisa, wo bist du?
    Liebster, ich komme. Ich öffnete den Mund zu einem Schrei, doch meine Stimme war nur noch ein gequältes Keuchen, das sich im Brausen der Flut verlor.
    Das Wasser in der Kathedrale war trüb; nur mühsam nahm ich die schwankenden Bilder der Kämpfenden wahr vor dem verwirrenden Rückstrom der Unschuldigen auf der Flucht. Da waren Waisen - dreckige Bengel mit kleinen, aufblitzenden Klingen - und Männer mit gezückten Schwertern, Bauern und Priester und Patrizier, doch es ergab keinen Sinn für mich. Mein Gehör ließ nach, bis das wilde Geläut der Glocken im Nichts versank. Im Fluss war alles still.
    Zur offenen Tür, die auf die Via de' Servi hinausging, strömte Sonnenlicht herein, und in diesem Schein erblickte ich ihn: Giuliano. Er trug eine Mönchskutte. Seine Kapuze hatte er zurückgeschlagen, sodass seine dunklen Locken zu sehen waren und ein Bart, den ich nicht kannte. In der Hand hielt er ein langes Schwert, die Spitze zeigte nach unten, während er vorwärtseilte. Er war ein Mann; in meiner Abwesenheit war er älter geworden. Seine Gesichtszüge, so erfreulich unregelmäßig, waren angespannt und von leichter Bitterkeit gezeichnet.
    Er war unfassbar schön und er gab mir mein Herz zurück.
    Aber ich war nicht mehr hier, um mich aufsteigenden Gefühlswallungen hinzugeben: Ich war hier, um die Vergehen anderer zu tilgen. Ich war hier, um zu vollenden, was schon knapp zwei Jahrzehnte zuvor hätte
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