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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
Autoren: Unbekannter Autor
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spiritu tuo, erwiderte Francesco.
    Als der Diakon die Epistel vortrug, nahm ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Eine dunkle Gestalt mit Kapuze hatte sich durch die Versammlung geschoben und hinter mich gestellt. Ich glaubte, seinen Atem zu hören und warm auf meiner Schulter zu spüren. Ich wusste, er war meinetwegen gekommen.
    Noch wird er nicht zuschlagen, sagte ich mir, obwohl ich das starke Bedürfnis spürte, nach meiner Waffe zu greifen. Er wird mich nicht vor dem vereinbarten Zeichen umbringen.
    Francesco schaute schräg über seine Schulter auf den verhüllten Mörder; Anerkennung flackerte in seinen Augen auf. Das gehörte zu seinem Plan. Er drehte sich wieder um, erwischte mich dabei, wie ich ihn beobachtete, und war mit meiner Angst zufrieden. Er schenkte mir ein kaltes, aufgesetzt wohlwollendes Lächeln.
    Der Chor stimmte das Graduale an: Erhebe dich, Herr, in Deinem heiligen Zorn. Erhebe dich gegen den Zorn meiner Feinde.
    Zu meiner Linken lief es wie eine Welle durch die Reihe der Prioren und Patrizier bis zu Salvatore de' Pazzi. Er wandte sich an meinen Gemahl und flüsterte ihm etwas zu. Ich spitzte die Ohren.
    »... haben Piero entdeckt. Aber nicht ...«
    Francesco fuhr zurück, reckte unwillkürlich den Hals und spähte nach links in die Menge. »Wo ist Giuliano?«
    Im quälenden Bewusstsein des Mörders hinter mir und des Soldaten neben meinem Kind spannte ich mich an. Wenn Giuliano nicht erschienen war, könnte es sein, dass sie uns auf der Stelle töteten. Zwei Bengel hinter uns johlten über einen Witz; ein Mönch brachte sie zum Schweigen.
    Den Psalm bekam ich nicht mit. Ich hörte das eintönige Brummen des Priesters, konnte seinen Worten aber keinen Sinn abgewinnen. Die Finger meiner rechten Hand schwebten über dem Rand meines Gürtels. Hätten sich der Soldat oder mein Mörder bewegt, hätte ich blindlings zugestochen.
    Wieder schwappte eine Flüsterwelle zu Salvatore. Er raunte Francesco etwas zu und deutete mit dem Kinn auf einen Punkt weit zu seiner Linken. »Er ist hier .«
    Er ist hier.
    Hier, irgendwo in meiner Nähe, ich konnte ihn nicht sehen, er konnte mich nicht hören, in dem Augenblick, bevor ich sterben sollte, war er außerhalb meiner Reichweite. Ich verzagte nicht bei dieser Erkenntnis, schwankte aber unter ihrem Gewicht. Ich schaute auf den Marmor unter meinen Füßen und betete. Sei in Sicherheit und lebe. Sei in Sicherheit ...
    Der Priester sang das Oremus, nahm die Hostie und bot sie dem Gekreuzigten dar.
    Offerimus tibi Domine ...
    Salvatore legte eine Hand auf seinen Schwertgriff und beugte sich zu Francesco. Seine Lippen formten ein Wort: bald.
    Im selben Moment lehnte sich mein Mörder plötzlich mit einer geschmeidigen Bewegung vor, trat auf meine Schleppe, sodass ich nicht ausweichen konnte, und presste seine Lippen an mein Ohr.
    »Monna Lisa«, flüsterte er. Hätte er diese beiden Worte nicht ausgesprochen, hätte ich zum Stilett gegriffen. »Wenn ich ein Zeichen gebe, fallt.«
    Ich schnappte nach Luft, sog sie begierig durch den geöffneten Mund ein und sah zu, wie der Diakon zum Altar ging und den Kelch mit Wein füllte. Francescos Hand schwebte über seiner Hüfte.
    Der zweite Diakon trat mit einer Karaffe Wasser vor.
    »Jetzt«, flüsterte Salai und presste mir etwas Hartes, Stumpfes in den Rücken unter die Rippen, sodass es aussah, als versetzte er mir einen tödlichen Stich.
    Wortlos sank ich auf den kühlen Marmor.
    Francesco neben mir schrie auf und fiel auf die Knie, gerade als er sein Messer zog; es klapperte neben ihm auf den Boden. Ich stützte mich ab und setzte mich auf. Salais Armee aus Straßenbengeln strömte nach vorn und umringte den Soldaten. Einer stieß ihm ein Messer in den Rücken und zog ihn zu Boden, sodass ein zweiter ihm die Kehle aufschlitzen konnte.
    Die Menschen rundherum brachen in wildes Geschrei aus. Mühsam rappelte ich mich auf und rief nach Matteo, meine verhedderten Röcke verfluchend. Die Waisen hatten ihn und sein Kindermädchen in ihre Mitte genommen; ich zog das Stilett meines Vaters heraus und sprang mit einem Satz auf sie zu. Mein Sohn kuschelte sich in die Arme eines der Mönche vom Ospedale degli Innocenti.
    »Lisa!«, schrie dieser. »Lisa, kommt mit uns.«
    Im Campanile begannen die Glocken zu läuten. Ein Patrizier und seine Gemahlin liefen in Panik an mir vorbei und rissen mich beinahe um. Ich hielt mich auf den Beinen, als die nächste Woge von Gläubigen folgte. »Leonardo, nimm ihn mit!«, rief ich.
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