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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
Autoren: Unbekannter Autor
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seine Eigenschaften so einzusetzen, dass die Öffentlichkeit ihn unterstützte. Sollte Lorenzo sterben, hätte Giuliano keine Schwierigkeiten, die Zügel der Macht zu übernehmen.
    In den vergangenen Wochen hatte sich Baroncelli die größte Mühe gegeben, ihn zu verachten - und war gescheitert.
    An diesem Morgen enthüllte das schwache Licht, das allmählich den unteren Teil der Säulen einfärbte, dass Giu-lianos Pracht deutlich nachgelassen hatte. Sein Haar war ungekämmt, die Kleidung hatte er sich hastig übergeworfen - und seine Augen waren blutunterlaufen. Zum ersten Mal, soweit Baroncelli sich erinnern konnte, lächelte Giu-liano nicht. Seine Bewegungen waren langsam wie die eines Mannes, der an einer schweren Rüstung zu tragen hat. Ikarus, dachte Baroncelli. Er hat sich zu hoch aufgeschwungen und ist jetzt angesengt auf die Erde hinabgestürzt.
    Giulianos sonst so melodische Stimme war heiser. »Guten Tag, meine Herren, wie ich hörte, hat Kardinal Riario meine Abwesenheit bei der Messe als Kränkung empfunden.«
    Baroncelli hatte das eigenartige Gefühl, dass sein Herz sich überschlug. Giuliano sah aus wie ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank. Er weiß es. Er kann es unmöglich wissen. Und dennoch ... er weiß es ...
    »Verzeiht, dass wir Euch stören«, sagte Francesco de' Pazzi, die Hände um Vergebung bittend gefaltet. »Wir sind auf Geheiß von Ser Lorenzo hier ...«
    Giuliano seufzte auf. »Verstehe. Der Herr im Himmel weiß, wir müssen darauf achten, Ser Lorenzo zu gefallen.« Sein eigentliches Wesen schimmerte durch, als er mit offenbar echter Besorgnis hinzufügte: »Ich hoffe nur, dass es nicht zu spät ist, dem Kardinal zu versichern, dass ich ihm höchsten Respekt entgegenbringe.«
    »Ja«, sagte Baroncelli langsam, »das wollen wir hoffen. Die Messe hat bereits begonnen.«
    »Dann lasst uns aufbrechen«, sagte Giuliano. Er bedeutete ihnen, zurück zum Eingang zu gehen. Als er den Arm hob, bemerkte Baroncelli, dass Giuliano sich tatsächlich in großer Eile angezogen haben musste, denn er trug kein Schwert an der Hüfte.
    Kurz darauf traten sie zu dritt in den strahlenden Morgen hinaus.
    Der finster dreinblickende Mann, der draußen in der Loggia gewartet hatte, schaute auf, als Giuliano vorüberging. »Ser Giuliano«, rief er, »auf ein Wort; es ist sehr wichtig.«
    Giuliano sah zu ihm hin und erkannte ihn offenbar.
    »Der Kardinal«, drängte Francesco vehement und wandte sich dann persönlich an den Mann. »Guter Mann, Ser Giu-liano kommt zu spät zu einer Verabredung und bittet um Euer Verständnis.« Mit diesen Worten nahm er Giuliano am Arm und zog ihn hinter sich her die Via Larga hinunter.
    Baroncelli folgte ihnen. Er wunderte sich, dass seine Hände nicht mehr zitterten und sein Herz und seine Atmung ihm wieder gehorchten, obwohl er noch immer Angst hatte. Er scherzte und lachte sogar mit Francesco, sie spielten die Rolle guter Freunde, die versuchten, sich aufzuheitern. Giuliano schmunzelte über ihre Bemühungen, blieb aber immer wieder zurück, sodass die beiden Verschwörer sich ein Spiel daraus machten, ihn abwechselnd vor sich her zu schieben oder hinter sich her zu ziehen. »Wir dürfen den Kardinal nicht warten lassen«, wiederholte Baroncelli mindestens dreimal.
    »So sagt doch, lieber Giuliano«, bat Francesco und packte seinen jungen Schwager am Ärmel. »Was ist passiert, dass Ihr so seufzt? Euer Herz wurde doch nicht etwa von einer wertlosen Hure gestohlen?«
    Giuliano schlug die Augen nieder und schüttelte den Kopf - nicht als Antwort, sondern eher als Hinweis darauf, dass er darüber nicht reden wollte. Francesco ließ das Thema sogleich fallen. Allerdings ging er im selben Tempo weiter, sodass sie kurz darauf vor dem Eingang zum Duo-mo eintrafen.
    Baroncelli blieb stehen. Der Gedanke, dass Giuliano so langsam ging, als trüge er eine schwere Bürde, nagte an ihm. Impulsivität vortäuschend, nahm er den jungen Medici fest in den Arm. »Lieber Freund«, sagte er. »Es bedrückt mich, Euch so unglücklich zu sehen. Was müssen wir tun, um Euch aufzuheitern?«
    Giuliano zwang sich wieder zu einem traurigen Lächeln und schüttelte leicht den Kopf. »Nichts, guter Bernardo. Nichts.«
    Dann folgte er Francesco in die Kathedrale.
    Unterdessen hatte Baroncelli sich einer Sorge entledigen können: Giuliano trug keinen Brustpanzer unter seiner Tunika.

4
    An jenem Morgen Ende April stand Giuliano vor einer schrecklichen Entscheidung: Er würde einem der beiden Menschen, die
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