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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
Autoren: Unbekannter Autor
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Faust an der Wange, und blickte finster auf einen Brief, den er nah an die Lampe hielt.
    Für gewöhnlich hätte Lorenzo aufgeschaut, hätte sich ein Lächeln abgerungen und eine Begrüßung von sich gegeben; an jenem Tag indes schien er ungewöhnlich missmutig. Kein Willkommensgruß. Lorenzo bedachte ihn mit einem flüchtigen Blick und konzentrierte sich dann wieder auf den Brief, dessen Inhalt offensichtlich der Grund für seine schlechte Laune war.
    Lorenzo konnte zuweilen zum Verrücktwerden starrsinnig sein, übertrieben besorgt um Erscheinungen, kühl kalkulierend, wenn es um Politik ging, manchmal auch diktatorisch, was Giulianos Betragen und Umgang anbelangte. Doch er konnte auch äußerst nachgiebig, großzügig und einfühlsam gegenüber den Wünschen seines jüngeren Bruders sein. Obwohl Giuliano nie nach Macht gestrebt hatte, teilte Lorenzo ihm ungefragt Wichtiges mit; stets besprach er mit ihm die indirekten politischen Folgen eines jeden Ereignisses in der Stadt. Es war offensichtlich, dass Lorenzo seinen Bruder von Herzen liebte und nur zu gern die Stadt mit ihm gemeinsam kontrolliert hätte, wenn Giu-liano doch nur einmal Interesse gezeigt hätte.
    Für Lorenzo war es schwer genug gewesen, seinen Vater zu verlieren und somit die Macht übernehmen zu müssen, als er noch so jung war. Er hatte zwar durchaus die Begabung dafür; aber Giuliano blieb nicht verborgen, wie sehr es ihn mitnahm. Nach neun Jahren zeigte sich mittlerweile die Anspannung. Auf seiner Stirn hatten sich tiefe Furchen eingegraben; Schatten lagen unter seinen Augen.
    Teilweise genoss Lorenzo die Macht und hatte Spaß daran, den Einfluss der Familie zu vergrößern. Die MediciBank hatte Zweigstellen in Rom, Brügge, in den meisten größeren Städten Europas. Dennoch war Lorenzo häufig von den Anforderungen erschöpft, die diese Rolle des gran maestro ihm abverlangte. Zuweilen beschwerte er sich: »Nicht eine Seele in der Stadt will ohne meinen Segen heiraten.« Das stimmte durchaus. In jener Woche noch hatte er einen Brief von einer ländlichen Gemeinde in der Toskana erhalten, die ihn um Rat bat: Die Kirchenväter hatten der Schaffung einer Heiligenstatue zugestimmt; zwei Bildhauer bewarben sich um den Auftrag. Ob der große Loren-zo wohl die Güte habe, seine Meinung zu äußern? Solche Bittgesuche stapelten sich jeden Tag auf seinem Schreibtisch; Lorenzo stand vor dem Morgengrauen auf und beantwortete sie. Er ärgerte sich über Florenz wie ein Vater über sein widerspenstiges Kind und widmete jeden wachen Augenblick der Förderung ihres Wohlstands und der Interessen der Medici.
    Er war sich allerdings bewusst, dass ihn niemand liebte, wenn er nicht Vergünstigungen gewährte. Nur Giuliano bewunderte seinen Bruder aufrichtig als den, der er war. Nur Giuliano bemühte sich, ihn seine Verantwortung auch mal vergessen zu lassen; und nur Giuliano konnte ihn zum Lachen bringen. Dafür liebte Lorenzo ihn aus tiefstem Herzen.
    Die Auswirkungen genau dieser Liebe fürchtete Giuliano.
    Nun schaute Giuliano seinen zerstreuten Bruder an, richtete sich gerade auf und räusperte sich. »Ich gehe fort«, sagte er ziemlich laut, »nach Rom.«
    Lorenzo hob die Augenbrauen und blickte auf, ohne sich zu rühren. »Zum Vergnügen oder in Geschäften, mit denen ich mich vertraut machen sollte?«
    »Ich gehe mit einer Frau fort.«
    Lorenzo seufzte; seine Stirn glättete sich. »Dann viel Vergnügen, und denk an mich, der ich hier leide.«
    »Genauer gesagt mit Madonna Anna«, schob Giuliano hinterher.
    Als er diesen Namen hörte, hob Lorenzo abrupt den Kopf. »Das kannst du nicht ernst meinen.« Er sagte es leichthin, doch als er Giuliano ansah, machte sich Ungläubigkeit in seiner Miene breit. »Das muss ein Scherz sein.« Er senkte die Stimme, bis sie nur noch ein Flüstern war. »Das ist Dummheit . Giuliano, sie ist aus gutem Hause. Und sie ist verheiratet .«
    Giuliano ließ sich nicht beirren. »Ich liebe sie. Ich kann nicht ohne sie sein. Ich habe sie gebeten, mit mir nach Rom zu gehen und dort zu leben.«
    Lorenzo riss die Augen auf; der Brief glitt ihm aus der Hand und fiel zu Boden, aber er hob ihn nicht auf. »Giu-liano . Zuweilen führt uns unser Herz in die Irre. Du lässt dich von Gefühlen leiten; glaube mir, ich verstehe dich. Doch das gibt sich wieder. Lass dir zwei Wochen Zeit, um darüber nachzudenken.«
    Lorenzos väterlicher, herablassender Tonfall bestärkte Giuliano nur in seinem Entschluss. »Kutsche und Kutscher sind schon
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