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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition)
Autoren: Oliver Henkel
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darauf zogen die Kompanien dann auch vorüber, an der Spitze die Pfeifer und Trommler mit den rot-silbernen Schwalbennestern der Heeresmusiker an den Schultern. Ihnen folgten die Füsiliere des 2. Hanseatischen Infanterie-Regiments Nr. 76 in den preußischen Uniformen, die seit über hundert Jahren das charakteristische Bild des deutschen Soldaten prägten. Sie trugen schwarze Pickelhauben mit blank polierten Messingbeschlägen, dazu tiefblaue Waffenröcke mit roten hohen Kragen. Die Hosen und das glänzende Lederzeug der Männer waren schwarz, und alle hatten den schweren Karabiner 98 geschultert. So marschierten sie vorbei, während ihre Stiefelsohlen im Takt auf das Straßenpflaster knallten. Auch wenn er es von seinem Auto aus nicht verfolgen konnte, wusste Prieß doch aus Erfahrung ganz genau, wie die Reaktionen der Zuschauer am Straßenrand aussahen. Die Reservisten und Gedienten nahmen Haltung an, die Dienstmädchen vergaßen für einen Moment die eiligen Einkäufe, die sie eigentlich erledigen mussten, und bewunderten lieber den schneidigen Leutnant, der auf seinem Schimmel neben der Kolonne ritt. Und diejenigen, die es zu eilig hatten, um stehen zu bleiben, verfielen unbewusst in den Gleichschritt zum Dessauer Marsch.
    Ein Glück, dass ich nicht mehr zu dem Verein gehöre , ging es Friedrich Prieß durch den Kopf. Aber wirklich glücklich sah er nicht aus.
    Das Schauspiel dauerte nur wenige Minuten, dann waren die Soldaten vorbeigezogen. In den Schutzmann, der die ganze Zeit strammgestanden hatte, kam wieder Leben; mit einer ungeduldigen Handbewegung forderte er Prieß auf weiterzufahren. Der Detektiv trat aufs Gaspedal. Er hatte schon genug Zeit verloren.
    * * *
     
    Die Wiese wurde links von einem Tannenforst begrenzt, während man zur Rechten in einiger Entfernung Hecken und Obstgärten erahnen konnte. Irgendwo dahinter verbargen sich die ersten Häuser Groß Grönaus, und dort verlief auch die Straße, die Lübeck mit Lüneburg verband. Quer durch die Wiese zog sich eine Reihe alter, verwitterter Grenzsteine, die im hohen Gras kaum noch zu finden waren. Sie markierten die Trennlinie zwischen dem Staatsgebiet der Freien und Hansestadt Lübeck und dem südlich angrenzenden Herzogtum Lauenburg, das preußisches Territorium war. Auf der Lübecker Seite der Grenze befand sich ein roh gepflasterter Fahrweg, der schließlich abknickte und noch zwanzig Meter in lauenburgisches Gebiet hineinführte, ehe er in einen unbefestigten, lehmigen Feldweg überging.
    »Genau hier hat er gelegen. Nee du, nee du, das war kein schöner Anblick, das kann ich Ihnen sagen.«
    Heinrich Braake sprach jedes Wort breit und bedächtig aus; sein schwerer plattdeutscher Zungenschlag hätte auch gar nichts anderes zugelassen. Mit der Pfeife in der Hand wies er auf eine Stelle des aufgeweichten Weges.
    »Nee, nee, wirklich nicht hübsch, wie er mit dem Loch im Kopf dalag«, bekräftigte er seine Feststellung noch einmal. Dann steckte er sich die Pfeife wieder in den Mund.
    In Groß Grönau den Mann zu finden, der den toten Diebnitz entdeckt hatte, war für Prieß leicht gewesen. Er hatte einfach nur angedeutet – aber nicht ausdrücklich behauptet –, ein Reporter des populären Illustrierten Journals zu sein. Die Wochenzeitschrift war besonders auf dem flachen Land sehr beliebt, weil sie mit ihren vielen Farbfotos einen Hauch von großer weiter Welt in die Wohnstuben der Dörfer brachte. Das Kalkül war aufgegangen, nach weniger als einer halben Stunde hatte Prieß dem Bauern, der auf die Leiche gestoßen war, die Hand drücken können. Heinrich Braake war am Morgen des elften Mai mit dem Fahrrad auf dem Weg zu seiner Kuhweide hier entlanggekommen. Dabei war ihm eine knapp hinter der Grenzlinie abgestellte Horch-Limousine mit preußischem Militärkennzeichen aufgefallen, und gleich darauf war er auf Diebnitz’ Leiche gestoßen, die wenige Meter weiter gelegen hatte. Und genau dort stand er jetzt mit Prieß.
    »Kein schöner Anblick? Wie meinen Sie das?«, fragte der Detektiv.
    »Tja, wie das eben bei einer Leiche ist«, antwortete der Bauer mit der Pfeife im Mundwinkel, wodurch seine ohnehin stark vom Dialekt geprägte Stimme noch unverständlicher wurde. »Er lag mit der Schnut im Dreck genau hier, und die Pistole hatte er noch in der Hand. Er hatte so’n richtig großes Loch im Kopf. Sah ja gar nicht mal so gut aus, wie er da so lag.«
    Friedrich Prieß tat so, als würde er die unappetitlichen Details auf einem
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