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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition)
Autoren: Oliver Henkel
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Mitten dazwischen lag ein Buch mit einem aus einer Zeitschrift gerissenen Steifen Papier als Lesezeichen; auf dem zerknickten Schutzumschlag stand in kantigen Buchstaben: Der Zeppelin – Geschichte, Technik und Verwendung. In der Ecke summte ein klotziger elektrischer Kühlschrank, der noch recht neu war und daher wie ein Fremdkörper zwischen all den gebrauchten, abgenutzten Einrichtungsgegenständen wirkte. Daneben führte eine Tür zur Toilette, die Prieß nun betrat.
    Möglicherweise würde er die nächsten Tage in Lübeck verbringen müssen, um dort Nachforschungen anzustellen. Er nahm seine Zahnbürste und die Tube Colgate von der Ablage über dem Waschbecken; in einfachen Hotels konnte er sich zwar mit der furchtbaren Seife abfinden, sogar mit den harten Handtüchern – seine eigenen waren schließlich auch nicht besser –, aber die ekelhafte Zahncreme, die dort immer gratis bereitlag, mied er wie der Teufel das Weihwasser. Dann kehrte er in den Wohnraum zurück und schaltete im Vorbeigehen das Radio ein. Ein großes Jazz-Orchester spielte eines der schwungvollen, leicht schrägen amerikanischen Stücke mit reichlich Saxophonklängen, die besonders bei der Jugend immer beliebter wurden.
    Während die Melodie im eilzugartigen Rhythmus voranwirbelte, holte Prieß den Koffer vom Schrank, legte ihn geöffnet aufs Bett und begann, für die nächsten Tage zu packen. Als er gerade einen kleinen Stapel Unterhosen verstaute, wurde im Radio die Musik ausgeblendet und die gleichmäßige Stimme eines Sprechers war zu hören:
    »Sehr geehrte Rundfunkteilnehmer, meine Damen und Herren. Es ist elf Uhr, Sie hören die Nachrichten vom NORAG-Sender Hamburg. In der vergangenen Nacht wurde beim dritten terroristischen Anschlag in der Provinz Schleswig-Holstein seit Monatsbeginn die Schleibrücke bei Lindaunis durch eine heftige Explosion zerstört. In unmittelbarer Nähe fand man eine von den Tätern zurückgelassene Lee-Enfield-Pistole sowie ein Bekennerschreiben der terroristischen Organisation ›Freunde Jütlands‹. In dem Schreiben wurde erneut die Forderung nach einer Abtretung Schleswig-Holsteins an Dänemark erhoben und mit weiteren Anschlägen gedroht …«
    Verfluchte Dänen! , dachte Prieß und zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. Wenn’s denen bei uns nicht passt, warum gehen die dann nicht einfach nach Dänemark? Ich würde dieses beschissene Bombenlegerpack nicht vermissen!
    »Reichsaußenminister von Lenschow warf der dänischen Regierung vor, die Terroristen zu decken und insgeheim zu unterstützen, was ein Sprecher des königlich dänischen Ministerrats zurückwies. Und nun zu Meldungen aus dem Ausland. In Großbritannien setzten sich auch gestern die Unruhen in mehreren Zentren der Textilindustrie fort …«
    Friedrich Prieß hörte schon nicht mehr zu, er war mit den Gedanken bei anderen Dingen. Er schloss den Deckel des Koffers und blätterte dann in Franziska Diebnitz’ Notizbuch, bis er gefunden hatte, was er suchte:
    In Groß Grönau lag die Leiche also … dann werde ich da auch anfangen. Wo war das eigentlich nochmal? Ach ja, südlich von Lübeck, an der Straße nach Ratzeburg.
    Da er das Buch schon in der Hand hielt, warf er auch noch einen Blick auf Gustav Diebnitz’ knapp umrissene Biographie. Viel stand dort nicht über das Leben des Obersts, aber es reichte für ein grobes Bild von dem Leben des Menschen, dessen Tod er untersuchen sollte.
    Prieß erfuhr, dass Diebnitz 1931 in Neubrandenburg geboren und zwanzig Jahre später in die preußische Armee eingetreten war. 1963 hatte man ihn zum Reichsamt für Militärische Aufklärung versetzt, und elf Jahre danach war er zum Oberst befördert worden. Ebenfalls 1974 hatte er Franziska Martens geheiratet, und seit jenem Jahr war er ohne Unterbrechung in Hamburg stationiert gewesen, bis er vor Kurzem eine neue Aufgabe am Physikalischen Forschungsinstitut Lübeck erhalten hatte. Ende der Liste.
    Prieß steckte das Notizbuch ein und dachte über das auf einige magere Stichworte reduzierte Leben des toten Gustav Diebnitz nach. Es war langweilig, fast enttäuschend.
    Na schön, was habe ich erwartet? Dass der Mann auf geheimen Missionen durch den Dschungel Indiens geschlichen ist, waghalsige Verfolgungsjagden und gefährliche Schießereien mit feindlichen Agenten miterlebt hat?
    Interessant war höchstens ein Punkt: Oberst Diebnitz war bei seiner Hochzeit dreiundvierzig Jahre alt gewesen. Da Prieß sich ziemlich sicher war, was das Alter seiner Witwe
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