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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition)
Autoren: Oliver Henkel
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Zynismus zugelegt hatten, brachten es fertig, auf ihre Arbeit stolz zu sein.
    Diesmal allerdings war ausnahmsweise alles anders gewesen. Friedrich Prieß hatte einen bekannten Hamburger Geschäftsmann vor einer dreifachen Katastrophe gerettet, nämlich vor einem furchtbaren Skandal, der Zerstörung seiner Ehe und einem Prozess, der seine Existenz vollends vernichtet hätte – vorausgesetzt, dass dann noch etwas zu vernichten gewesen wäre. Und die Sache hatte tatsächlich verdammt ernst ausgesehen: Die Prostituierten von St. Pauli standen nicht gerade im Ruf, zartbesaitet zu sein. Aber wenn innerhalb weniger Wochen gleich ein Dutzend von ihnen übel zugerichtet zur Davidwache kommt, um gegen einen außergewöhnlich perversen Freier Anzeige zu erstatten, dann musste es sich um einen wirklich ekelerregenden Menschen handeln. Und dieser Mensch war ganz offensichtlich der Geschäftsmann aus Blankenese, denn die Beschreibungen aller zwölf Frauen passten so haargenau auf ihn, dass ein Irrtum unmöglich schien. Der Mann war sich allerdings keiner Schuld bewusst. Dementsprechend versuchte er alles, um die Vorwürfe zu entkräften, und war in seiner Verzweiflung schließlich sogar bereit, sich an eine derart zwielichtige Gestalt wie einen Privatdetektiv zu wenden. Und so war Friedrich zu dem Auftrag gekommen, um jeden Preis den wahren Täter aufzuspüren.
    Privatdetektive fragen nicht nach Schuld oder Unschuld. Sie schaffen Fakten herbei, mit denen ihre Auftraggeber später machen können, was sie für richtig halten. Es hätte Prieß nicht besonders überrascht, wenn sein Klient tatsächlich der gewalttätige Freier gewesen wäre und auf diese Weise nur versucht hätte, den Verdacht von sich abzulenken. In diesem Beruf musste man eben damit rechnen, nicht immer für nette Zeitgenossen zu arbeiten, und für das Wühlen im Dreck zahlten meistens diejenigen am besten, die selber keine weiße Weste hatten.
    Friedrich Prieß hatte sich also an die Arbeit gemacht, seine Kontakte in Hamburgs Amüsierviertel spielen lassen, den richtigen Leuten die richtigen Fragen gestellt und aus den selten eindeutigen Antworten das Wichtige herausgefiltert. Kriminalbeamte oder gar uniformierte Schutzmänner trafen in St. Pauli meistens nur auf eine Mauer sturen, misstrauischen Schweigens; für fast alle Bewohner dieses Stadtteils war die Polizei nicht Freund und Helfer, sondern ein lästiger Gegenspieler, der ihnen mit immer neuen Schikanen die Geschäfte zu verderben versuchte. Aber für einen Privatdetektiv, der die Spielregeln des Milieus kannte, öffneten sich manche Türen, die den Polizisten verschlossen blieben. Dieser Vorteil gegenüber den Beamten war auch einer der Gründe, weshalb die Behörden der Freien und Hansestadt Hamburg auf Detektive nicht gut zu sprechen waren. Schließlich, nachdem er viel Mühe, Hartnäckigkeit und Geduld investiert hatte, wusste Prieß, dass sein Klient tatsächlich zu Unrecht unter Verdacht stand. Er hatte nämlich den wirklichen Täter aufspüren können, einen Bootsbauer aus der Hafengegend des Stadtviertels Hammerbrook, der dem Geschäftsmann so verblüffend ähnlich sah, dass man ihn für seinen Zwillingsbruder hätte halten können. Dass der Mann ernsthaft gefährlich war, hatte Prieß am eigenen Leib erfahren müssen, als er ihn in seinem Schrebergarten mit den Beweisen konfrontierte. Glücklicherweise hatte er für diesen Besuch ausnahmsweise seine alte Armeepistole eingesteckt. Sie war zwar wie immer ungeladen gewesen, aber ihr bloßer Anblick hatte ausgereicht, um den vor Wut rasenden Bootsbauer in letzter Sekunde davon abzuhalten, ihm den Schädel mit einem Spaten einzuschlagen. Später war der Mann beim Polizeiverhör zusammengebrochen und hatte ein volles Geständnis abgelegt. Der Schrecken der Prostituierten war somit dingfest gemacht, Prieß’ Auftraggeber war dem Zusammenbruch seines gesamten Lebens entronnen und die gute Gesellschaft Hamburgs konnte wieder aufatmen, weil es ja nun doch keiner aus ihren Kreisen war, der diese Scheußlichkeiten begangen und die sorgsam gepflegte Kulisse der Wohlanständigkeit angekratzt hatte. Alles war bestens. Auch für Friedrich Prieß, der soeben mit der Morgenpost per Einschreiben das verdiente Honorar für seine Anstrengungen erhalten hatte. Er genoss noch einmal den Anblick des Schecks, dann steckte er das kostbare bläuliche Stück Papier in seine Brieftasche, die er wiederum in der Innentasche seines Jacketts verschwinden ließ.
    2500 Mark ,
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