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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition)
Autoren: Oliver Henkel
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dieser beiden Möglichkeiten sich als zutreffend erweisen sollte, werde ich Ihnen ein Erfolgshonorar von neuntausend Mark zahlen.«
    Prieß konnte kaum glauben, dass er eine so enorme Summe angeboten bekam. Aber er hätte auch sicher nicht ablehnen können, wenn Franziska Diebnitz nur einen Bruchteil dieses Betrages genannt hätte; ihre Ausstrahlung von Willensstärke ließ jeden Gedanken an Widerspruch absurd erscheinen.
    »Ich akzeptiere«, meinte Prieß nach einem kurzen Augenblick des Zögerns, »und nehme Ihren Auftrag an.«
    »Ich habe nichts anderes erwartet, Herr Prieß.« Sie entnahm ihrer Handtasche ein kleines Notizbüchlein mit rotbraunem Einband. »Hier finden Sie alle Informationen, die Sie benötigen könnten: die Adresse der Wohnung meines Mannes in Lübeck, die Umstände seines Todes, soweit ich darüber in Kenntnis gesetzt wurde … und falls Sie etwas wissen müssen, das ich hier nicht verzeichnet habe, können Sie mich jederzeit anrufen. Meine Telefonnummern stehen auf der ersten Seite.«
    Sie übergab dem Detektiv das Notizbuch. Dann erhob sie sich aus dem Sessel, strich sich den Rock glatt und wandte sich zum Gehen. Prieß stand gleichfalls auf, eilte um den Schreibtisch und öffnete ihr die Tür.
    »Noch etwas«, sagte Franziska Diebnitz, als sie gerade auf den Korridor hinaustreten wollte. »Lassen Sie sich Zeit. Ich will keine schnellen Ergebnisse, ich will sichere Ergebnisse. Guten Tag.«
    Dann verließ sie den Raum. Prieß schloss die Tür, ging zurück zum Tisch und ließ sich wieder auf den Drehstuhl sinken. Für eine Weile saß er nahezu regungslos und kaute in Gedanken versunken an einem Bleistift. Erst jetzt wurde ihm langsam klar, worauf er sich eingelassen hatte. Zunächst einmal bereitete ihm Unbehagen, dass es um einen Toten ging – Leichen waren Aufgabe der Polizei, nicht seine. Mit Toten hatten allenfalls seine fiktiven amerikanischen Kollegen auf der Kinoleinwand zu tun, und das brachte sie ja auch regelmäßig in lebensbedrohliche Schwierigkeiten. Hinzu kam, dass es sich um einen hochrangigen Geheimdienstoffizier handelte, was bei Friedrich Prieß ein undefinierbares Gefühl der Beklemmung entstehen ließ. Die Grundlage, die er für seine Ermittlungen hatte, waren die unbestimmten Ahnungen einer Witwe, die ihrem Mann keinen Selbstmord zutraute und mit der die zuständigen Polizeibehörden ein wenig taktlos umgegangen waren. Sonst nichts.
    Er legte den Bleistift aus der Hand, stand vom Stuhl auf und ging hinüber zum Fenster. Er sah hinaus, aber von dem geschäftigen Treiben tief unter sich in der Mönckebergstraße nahm er nichts wahr. Seine Gedanken waren noch immer bei dem, was ihm Franziska Diebnitz gesagt hatte. Oder vielmehr, wie sie es ihm gesagt hatte. Sie schien wirklich hundertprozentig von jedem ihrer Worte überzeugt zu sein, und das hatte auch seine Wirkung auf Prieß nicht verfehlt.
    Er fasste sich an den Kopf und fuhr sich durch das an den Schläfen bereits leicht ergrauende Haar. Verdammt, wie konnte ich bloß diesen Fall annehmen? Ein Toter, und dann auch noch vom RMA … Fritz, das ist nicht dein Spielfeld! Ich habe mich von ihrer selbstbewussten Art einwickeln lassen …
    Er bemühte sich, diesen Gedanken schnellstens wieder abzuschütteln, und versuchte, sich selber zu überzeugen, dass er keine andere Möglichkeit gehabt hatte. Franziska Diebnitz war zweifellos einflussreich und hatte einen großen Bekanntenkreis in Hamburgs Oberschicht. Falls sie mit seiner Arbeit zufrieden sein sollte, würde sie ihn sicher weiterempfehlen. Vielleicht würde sich die Art der Aufgaben, für die man Prieß engagierte, dann nicht wesentlich ändern – aber er würde dafür wenigstens erheblich besser bezahlt werden als bisher. Hätte er Franziska Diebnitz’ Auftrag hingegen abgelehnt, dann hätte er sich von dieser Aussicht verabschieden können. Er hatte also einfach annehmen müssen; zumindest wollte Prieß es so sehen.
    Für einige Minuten starrte er noch abwesend aus dem Fenster, dann atmete er tief durch und ging in das Hinterzimmer des Büros. In dem spärlich möblierten Raum standen kaum mehr als ein Bett, von dessen Metallgestell die Farbe abblätterte, ein runder Esstisch mit zwei unterschiedlichen Stühlen, ein wuchtiger Kleiderschrank mit überladenen Verzierungen im Geschmack vergangener Jahrzehnte, ein recht großes und überfülltes Bücherregal sowie eine Anrichte, auf der nebeneinander eine Elektrokochplatte, ein billiges Radio und ein Brotkasten standen.
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